Wenn das Herz im Kopf schlägt
vor ihm. Ihre Arme hat sie vor der Brust weit übereinander gekreuzt. Die Ellbogen zeigen nach unten, ihre Hände halten sich an ihren Schultern fest, wie ein Vogel, der seine Flügel unmittelbar vor dem Flug dicht an seinen Körper bringt.
Wie Puzzleteile fügen sich seine Sätze in ihrem Kopf zusammen, ergeben Bilder. Bilder, die sie kennt. Bilder, die Mama mit anderen Sätzen über Jahre in ihren Kopf gezeichnet hat.
Er schaut auf sie herunter. Er spricht leise. Sie kann ihn kaum verstehen. »Wir dachten, sie wäre tot.« Seine Augen sind glasig wie abgegriffene Murmeln. Seine Stimme geht in Schluchzen über. »Mach mich jetzt los, Lena, bitte. Ich habe morgens die Polizei gerufen. Es war zu spät, ich weiß. Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass sie noch lebte.«
Sie lässt ihre Schultern los, und ihre Arme fallen wie leblos neben ihren Körper. Sie sieht zu ihm auf, fixiert ihn mit schmalen Augen. Sie spricht langsam, zieht die Silben der Worte auseinander. »Ach ja. Deine Liebe zur Wahrheit! Die hätte ich fast vergessen.« Dann wird sie laut, schleudert die Sätze zu ihm hinauf. »Als sie meinen Großvater verhaftet haben, hättest du die Wahrheit sagen können, oder? Und wie war das mit dem Grabstein? Eure großzügige Geste, die Beerdigung in die Hand zu nehmen?«
Er nickt unterwürfig. »Ja!« Er lässt den Kopf vornüber fallen und wischt Speichel und Rotz an seiner Schulter ab. Er bemerkt, dass die Schlinge völlig lose um seinen Hals hängt. »Bitte, Lena. Ich habe dir alles gesagt. Lass mich runter.«
- 60 -
Der kleine Wald ist noch ohne Laub. Sie laufen auf das geduckte Haus zu. Die Außenleuchte am Hinterausgang gibt ihnen Orientierung. Der Boden ist uneben und aufgeweicht. Die Dämmerung hat eingesetzt. Sie treibt die diffuse Lichtlosigkeit des Tages gemeinsam mit den dichten Bäumen in die Dunkelheit. Böhm und van Oss stolpern vorwärts. Als sie den hinteren Teil des Gartens erreichen, sind sie bis zu den Oberschenkeln mit Schlamm bespritzt. Sie hören mehrere Wagen unten an der Straße in gut fünfhundert Meter Entfernung anhalten. Sie können keine Scheinwerfer ausmachen. Die Kollegen sind ohne Licht den Weg hinaufgefahren. Böhm lobt in Gedanken Steegs Umsicht. Als keine Motoren mehr zu hören sind und im Haus alles still bleibt, steigen sie über den Zaun aus grobem Maschendraht. Der Garten ist verwildert, Wege sind nicht auszumachen. Gebückt nähern sie sich dem Haus.
Die Stille beunruhigt Böhm. Die Stille und Joops unvorsichtige Entschlossenheit. Er achtet nur wenig auf seine Deckung, hat nur sein Ziel im Auge.
Jetzt kommen sie an den Lichtkegel der eingeschalteten Außenbeleuchtung. Böhm greift nach Joops Arm. Er legt alle Autorität, die er besitzt, in seinen Blick. Er greift in sein Holster und holt die Waffe hervor. Joop nickt, greift in die Jackentasche und macht es ihm nach. Böhm dreht die freie Hand mit der Handfläche nach unten und führt sie langsam und mit Kraft in Richtung Boden, so als würde er gegen einen Widerstand andrücken.
Ruhig, langsam, besonnen!
Joop atmet tief durch, schließt für einen Augenblick die Augen und nickt. Dann zeigt er nach rechts. Beide laufen gleichzeitig los. Böhm erreicht die Hauswand links von der Treppe, van Oss rechts.
Im Haus bleibt alles dunkel. Die Stille setzt Böhm zu. Diese Stille, die er gehört hatte, als Gietmann auf dem Feldweg lag. Diese Stille, die er gehört hatte, als Lüders am Baumstamm lehnte.
Joop springt auf die Stufen und lehnt sich, seine Waffe aufrecht vor dem Gesicht, in den Türrahmen. Böhm folgt ihm und greift nach der Türklinke. Sie gibt einen kurzen, krächzenden Laut von sich, wie der Schrei einer Krähe. Die Türe gibt nach und schwenkt langsam ins Haus. Die Scharniere jammern in die Dunkelheit des Flures.
Sie sehen sich erschrocken an.
Gleichzeitig rennen sie los. Mit einer einzigen Bewegung drückt Joop die Türklinke des ersten Zimmers herunter und wirft die Türe auf.
Jansen hängt in der Mitte des Raumes. Joop schreit gequält auf, greift Jansens Beine und stemmt ihn hoch. Böhm sichert den Raum. Er wirft einen kurzen Blick auf Jansens Gesicht. Die Zunge hängt unnatürlich weit heraus. Das Zungenbein ist gebrochen. Jansen ist tot.
Sie sitzt hinter der Anrichte auf dem Fußboden. Die Beine angezogen, die Arme um die Unterschenkel gelegt, starrt sie auf den dunkelgrünen, fleckigen Teppichboden.
Das Zimmer stinkt nach Urin, Kot und Angstschweiß.
Böhm reißt ein Fenster auf und brüllt:
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