Wenn das Verlangen uns beherrscht
unendlich leid. Was musste er alles ertragen. Erst der tragische Tod seiner Frau, dann die Krankheit des Sohnes. Und dann verlor er den Vater und, wie sich herausstellte, auch noch durch Mord!
Entsetzlich . Wie gern würde sie ihm tröstend über die Hand streichen, denn wahrscheinlich fühlte er sich allein mit seinem Kummer. Seine Frau war nicht mehr da, und die anderen Familienmitglieder mussten selbst sehen, wie sie mit dem Verlust des Familienoberhaupts fertigwurden. Verstohlen musterte sie seine muskulöse Gestalt. Würde es ihm guttun, wenn sie ihn umarmte und ihm so Trost spendete? Bei der Vorstellung wurde ihr heiß. Wahrscheinlich würde es im Wesentlichen ihr guttun, denn sie merkte nur zu deutlich, wie sehr er sie faszinierte.
Also umschloss sie lieber ihr Glas mit beiden Händen, um nicht in Versuchung zu kommen. „Haben Sie sich mit Ihrem Vater gut verstanden?“
Er nickte. „Ja. Wir hängen alle sehr aneinander, für uns ist die Familie das Wichtigste.“ Doch dann zog er die Brauen zusammen, und eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. „Zumindest war ich immer davon ausgegangen.“
„Und jetzt nicht mehr?“ Über die Schwestern hatte er doch nur liebevoll gesprochen.
Er senkte den Kopf und starrte auf seinen leeren Teller. „Nach Dads Tod fanden wir heraus, dass er noch eine zweite Familie hatte. Mit Frau und zwei Söhnen, von denen allerdings einer nicht von ihm war. Anscheinend hat er vor vielen Jahren seine Jugendliebe wiedergetroffen und festgestellt, dass sie einen Sohn von ihm hat. Sie war verheiratet und hatte mit ihrem Mann einen zweiten Sohn. Als Dad sie wiedertraf, war sie bereits Witwe, und so wurde sie die Geliebte meines Vaters, der seitdem heimlich eine zweite Familie hatte.“
Entsetzt starrte Susannah ihn an. Was für eine Geschichte! Wie schrecklich für Matthew, seine Mutter und die Geschwister. „Und du hattest keine Ahnung?“ Unwillkürlich duzte sie ihn.
Er sah sie ausdruckslos an. „Nein.“
„Oh, Matthew, ich kann mir kaum vorstellen, wie grauenhaft das für euch alle war. Und dann findet ihr es auch noch auf diesem Weg heraus.“
„Ja, das war kein Zuckerschlecken.“ Er griff nach seinem Weinglas.
„Aber, trotz des Schocks … Ist es wenigstens gut, zwei neue Brüder zu haben?“
Er lachte gequält auf. „Nicht unbedingt. Jack, der echte Sohn meines Vaters, ist nicht an einem guten Verhältnis interessiert. Und Alans rechtliche Situation ist noch nicht abgeklärt. Hinzu kommt, dass mein Vater seinen Besitz auf beide Familien aufgeteilt hat. Dadurch ist das Familienunternehmen in einer angespannten Lage.“
„Das ist ja fürchterlich. Das Leben kann manchmal echt unfair sein.“ Wieder konnte sie nur mit Mühe dem Wunsch widerstehen, ihn tröstend zu umarmen.
„Das kann man so sagen.“ Er stand auf und stellte die Teller zusammen. „Aber lass uns von was anderem reden. Erzähl mir von deiner Mutter.“
Auch er hatte zum Du übergewechselt – die wachsende Vertraulichkeit zwischen ihnen verursachte ihr ein Kribbeln im Magen. „Meine Mutter ist prima.“ Sie folgte ihm mit den Gläsern. „Sie ist immer gut aufgelegt und hat Freude am Leben. Es war sicher hart für sie, nachdem mein Vater gestorben war. Aber sie hat sich nie hängen lassen.“
Während er die Geschirrspülmaschine öffnete, warf er Susannah einen neugierigen Blick zu. „Wie alt warst du, als dein Vater starb?“
„Acht.“ Wenn sie an den Vater dachte, hatte sie kein klares Bild vor Augen. Aber sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie verzweifelt und unglücklich sie nach seinem Tod gewesen war. So ähnlich musste der kleine Flynn auch empfunden haben, als seine Mutter gestorben war. Glücklicherweise hatte er noch Matthew, so wie ihre Mutter immer für sie da gewesen war.
„Meine Eltern haben sich sehr geliebt“, sagte sie leise. „Aber Mom hat sich zusammengenommen, um mir ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität zu vermitteln. Genau das tust du ja auch für Flynn, und das finde ich wunderbar.“
„So?“ Ein zynisches Lächeln erschien kurz auf seinem Gesicht, dann wandte er sich ab und griff nach einem Topf. „Hast du noch Verwandte?“
„Moms Eltern haben sich sehr für uns eingesetzt. Dads Eltern waren weniger hilfreich.“ Immer noch packte sie die Wut, wenn sie daran dachte.
„Was meinst du mit ‚weniger hilfreich‘?“ Er richtete sich auf und sah sie mit seinen klaren grünen Augen eindringlich an. Offenbar hatte er gemerkt, dass sie ihren
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