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Wenn der Acker brennt

Wenn der Acker brennt

Titel: Wenn der Acker brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Maerker
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Handschrift inzwischen. Der sechzehnte August, das war eine Woche vor Amatas Tod gewesen. Andächtig strich sie über die Buchstaben und fragte sich, was Amata wohl empfunden hatte, als sie das schrieb.
    Rick schlug gerade die letzte Seite des Tagebuchs auf, als Christine zurückkam. Er hatte es auf die Schnelle durchgeblättert. Vielleicht, um herauszufinden, ob Amata auch etwas über ihn geschrieben hatte. »Ich glaube nicht, dass etwas über dich drinsteht«, nahm sie ihm die Sorge und setzte sich wieder zu ihm. »Ich habe die alten Graffiti in der Toilette gelesen.«
    »Sie wurden nicht entfernt?«, wunderte er sich.
    »Ein kleines Museum der Sinacher Gesinnung, eine gute Idee, finde ich. Auch Amata hat sich dort verewigt. Wer war dieser J., in den sie verliebt war?«
    Rick ließ seinen Blick durch das Café schweifen. Die Familie mit den beiden Kindern war inzwischen gegangen und hatte einen dunklen Klecks Schokoladeneis auf der weißen Tischdecke hinterlassen. »J. steht für Jeremias«, antwortete er nach kurzem Zögern.
    »Jeremias Rimbar, der Bürgermeister von Sinach?« Nie und nimmer hätte Christine ihn als Amatas Liebe in Betracht gezogen.
    »Ich habe nie verstanden, was sie an ihm fand.«
    »Aber Amata war erst fünfzehn. Nach allem, was in ihrem Tagebuch steht, ist zwischen ihr und Jeremias mehr passiert als nur Händchenhalten.«
    »Jeremias war zwanzig und sah verdammt gut aus. Nicht nur die jungen Mädchen waren hinter ihm her.«
    »Woher willst du das wissen? Du warst doch noch ein Kind.«
    »Ich war acht, aber nicht blöd. Am Abend vor dem Unglück waren wir übrigens alle hier im Café.«
    »Was ist Amata zugestoßen?«
    »Sie ist bei einem Brand ums Leben gekommen. Es war meine Schuld.« Ricks Blick glitt ins Leere. Seine Erinnerung an den Tag war auf einmal so klar, als wäre alles erst gestern passiert. »Amata gab mir Nachhilfestunden im Rechnen, auch an diesem Nachmittag. Als sie mir erzählte, dass sie sich danach mit ihren Freundinnen im Eiscafé treffen wollte, bettelte ich so lange, mitkommen zu dürfen, bis sie nachgab. Ich war in Amata verliebt, und es war ein großer Sieg für mich, dass ich sie begleiten durfte. Sie und ihre Freundinnen legten zusammen und spendierten mir einen Eisbecher mit Kirschen. Ich hörte den Mädchen zu, wie sie sich über Fassbinder ausließen, der ein paar Wochen zuvor gestorben war. Ich war fasziniert, obwohl ich nichts davon verstand. Aber sie hatten alle Filme von ihm gesehen und fühlten sich ungemein erwachsen und überlegen, weil ihre Eltern nichts damit anfangen konnten.«
    »10. Juni 1982.«
    »Was?«
    »Ist Fassbinder gestorben«, sagte Christine.
    »Du interessierst dich für ihn?«
    »Er war genial.«
    »Davon war Amata auch überzeugt. Damals konnte ich es nicht einschätzen, aber heute weiß ich, wie ernsthaft sie über das Leben nachgedacht und wie sehr mich das wohl beeindruckt hat. Ich fühlte mich großartig, wenn ich mit ihr zusammen war, so auch an jenem Abend – bis Jeremias kam. Er machte wieder einen seiner üblichen Witze, nannte mich Ricky Piggy, den Herzensbrecher im Kleinformat, worüber sich Amata mächtig aufregte. Es war immer das gleiche Spiel: Er nahm mich hoch, sie verteidigte mich, und ich versicherte Jeremias, dass ich eines Tages reich und berühmt sein und Amata heiraten würde.«
    »Einschüchtern konnte er dich wohl nicht?«, bemerkte Christine amüsiert.
    »Mit Amata an meiner Seite war ich mutig.«
    »Was ist an diesem Abend geschehen?«
    »Jeremias setzte sich zuerst zu seinen Freunden.« Rick zeigte auf den Tisch mit der Eckbank an der gegenüberliegenden Wand. »Sie hatten eine Zeitung vor sich ausgebreitet und sprachen über den Leitartikel. Es ging um den Überfall auf einen Geldtransporter einen Tag zuvor.«
    »Dein Gedächtnis ist wirklich überraschend gut«, staunte Christine.
    »Keine Ahnung, wie gut es tatsächlich ist, aber an diesem Ereignis kam niemand vorbei, alle sprachen darüber. Es gab zwei Tote: den Fahrer und den Beifahrer. Zwei Täter wurden gleich vor Ort gefasst, der dritte ist mit fünf Millionen Mark entkommen.«
    »Wurde er später gefasst?«
    »Nein.«
    »Und das Geld ist nie wieder aufgetaucht?«
    »Es gab weder eine Spur von dem dritten Täter noch von dem Geld.«
    »Was ist?«, fragte Christine, als Ricks Augenlider flackerten. Die Erinnerung schien ihm zu schaffen zu machen.
    »Irgendwann ging Jeremias zur Musikbox, die es damals noch gab, warf eine Münze ein und wählte ›Ein

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