Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
sagen können, dass ich meiner Mutter nichts davon erzählen sollte«, widersprach Dorothea und dachte unwillkürlich an ihre Stieftochter, die keinerlei Hemmungen hatte, mit solchen kleinen Tricks zu arbeiten.
» Das hätte ich wohl.« Mehr äußerte er nicht dazu, sondern zeigte mit der Peitsche auf ein paar Kängurus, die neugierig zu ihnen herüberspähten. » Seht ihr, Kinder, sie haben alle Junge im Beutel!«
Während Lischen vor Begeisterung über das malerische Bild fast außer sich geriet, blieb Heather stumm. Dorothea fragte sich, ob sie ebenfalls an den grausigen Fund auf dem Latrinenbrett denken musste, den sie beide in jener denkwürdigen Nacht gemacht hatten. Um sich und Heather abzulenken, schlug sie rasch das Spiel vor: » Ich sehe was, was du nicht siehst.« Und tatsächlich quiekten bald beide Mädchen vor Vergnügen, wenn die Erwachsenen einfach nicht auf den zu ratenden Gegenstand kommen wollten.
Und es gab viel zu raten in dieser abwechslungsreichen Landschaft. Die Parklands in der Umgebung von Adelaide trugen ihren Namen zu Recht: Kein Gartenarchitekt hätte sie geschickter planen können, als sie von Natur aus gewachsen waren. Wie zufällig angeordnete Baumgruppen wechselten sich ab mit lichten Waldungen und blumenübersäten Wiesen. Hier und da stiegen kreischende Kakaduschwärme gen Himmel, von einer Schlange oder einem kleinen Raubtier aufgescheucht. Die bunten Vögel sahen aus wie eine Wolke aus Blütenblättern, die der Wind aufwirbelte.
Selbst das Kutschpferd schien die Fahrt zu genießen, jedenfalls brauchte Ian es nicht ein einziges Mal mit der Peitsche anzutreiben. Nach etwa zwei Stunden sah er sich um. » Hier muss es sein«, murmelte er mehr zu sich selbst. » Ah ja, dahinten.« Und schon lenkte er das Pferd zwischen zwei markanten Eukalyptusbäumen hindurch. » Da ist es«, verkündete er und wies auf einen auffallend geformten Hügel, der sich in etwa zwei Kilometer Entfernung mitten im Mallee aus dem kniehohen Gestrüpp erhob.
» Das da soll ein Heiligtum der Eingeborenen sein?« Abgrundtiefe Enttäuschung sprach aus Lischens Stimme. » Sie haben doch gesagt, es gäbe Quellen und Felsbilder dort. Aber ich sehe nichts in der Art.«
» Abwarten«, empfahl Ian gut gelaunt. » Manches erschließt sich erst auf den zweiten Blick.«
» Ich glaube, da ist so etwas wie ein Fels«, rief Heather und reckte den Hals. » Dort, hinter dem Busch mit den roten Blüten.«
Dorothea kniff die Augen zusammen. Tatsächlich: Zwischen den locker belaubten Zweigen schimmerte hellgrauer Stein. Als sie näher kamen, wurde immer deutlicher, dass der Hügel nicht einfach nur ein Hügel war. Dafür war seine Form zu regelmäßig. Menschenhände hatten vorstehende Kanten begradigt, Lücken aufgefüllt und Felsvorsprünge abgeschlagen. Auf einer glatten, senkrecht stehenden Felsplatte konnte sie fremdartige Figuren in Rot, Weiß und Gelb erkennen.
Rund um den Hügel war alles Gras säuberlich niedergebrannt worden, sodass er von einem schwarzen Ring umgeben war. In der dunklen Asche erkannte man deutlich die Abdrücke nackter Füße. Unwillkürlich überlief Dorothea ein Schauer des Unbehagens, und sie musterte die Umgebung auf Anzeichen von Eingeborenen. Die Vorstellung, plötzlich von einem Haufen finster blickender Schwarzer mit Speeren und Keulen umzingelt zu werden, verursachte ihr eine Gänsehaut. Dass weit und breit keiner zu sehen war, besagte wenig. Hatte Robert nicht erzählt, sie könnten sich so gut wie unsichtbar machen?
» Was ist mit dir? Du bist auf einmal so blass.«
Ians besorgte Stimme riss sie aus ihren Überlegungen. Sollte sie ihre Bedenken mit ihm teilen? Nein, entschied sie rasch. Er musste ja denken, sie sei hysterisch. Also zwang sie sich zu einem Lächeln und sagte betont munter: » Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur ordentlich Hunger. Ihr nicht?«
Kaum waren sie abgestiegen, als die Mädchen auch schon losliefen, den seltsamen Platz zu erkunden. » Ich hoffe, die hiesigen Eingeborenen werden keinen Anstoß daran nehmen, dass wir hier picknicken«, bemerkte sie, während sie den beiden nachsah, unschlüssig, ob sie sie zurückrufen sollte. » Bist du sicher, dass es ungefährlich ist, hier herumzustreifen?«
» Sonst hätte ich euch wohl kaum hierhergebracht«, gab er eine Spur ungehalten zurück. » Denkst du, ich würde euch leichtsinnig einer Gefahr aussetzen?« Über einem Arm den Stapel Decken, über dem anderen den Henkelkorb, stapfte er ihr voraus
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