Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
bemerkte Ian trocken.
» Und was hat dieser schreckliche Mensch von einem Maskenball?– Außer dass er in jede Menge Ausschnitte glotzen kann.«
» Morphett verspricht sich davon Stimmen für die nächste Stadtratswahl«, erklärte Ian mit gedämpfter Stimme. » Achte darauf, dass du flüsterst, wenn du angesprochen wirst. Die meisten Menschen, die sich verkleiden, denken nicht daran, dass der Klang ihrer Stimme sie meistens sofort verrät.«
Tatsächlich konnte Dorothea schon von Weitem zwei Damen der Literarischen Gesellschaft identifizieren, auch wenn diese sich hinter ihren eher andalusisch anmutenden Spitzenschleiern inkognito fühlten. Auch einige Kostüme aus der Werkstatt ihrer Mutter erkannte sie wieder, darunter das nilgrüne von Mary Kilner. Der hochgewachsene Mann neben ihr, der wie ein Wegelagerer aussah, musste Matthew Moorhouse sein! Sicherheitshalber achteten sie darauf, zu dieser Gruppe Abstand zu halten.
Es machte Dorothea mehr Spaß, als sie erwartet hätte, hinter ihrem Schleier versteckt die anderen Gäste zu beobachten und zu raten, wer sich unter den mehr oder weniger gelungenen Kostümen verbarg. Die meisten Gäste kannte sie nicht, aber einige Stimmen schienen ihr noch aus ihrer Zeit beim Register vertraut. Damals war sie mit Miles Somerhill gemeinsam ja fast bei jedem gesellschaftlichen Ereignis zugegen gewesen.
Major O’Halloran mit seiner dröhnenden Stimme, die immer klang, als ob er gerade eine Kompagnie befehligte, Richter Cooper, der sich notdürftig als Derwisch maskiert hatte, und Sir Charles Mann, der selbst im Sultanskostüm unverwechselbar war. Ihnen allen war leicht auszuweichen. Hier und da streifte sie ein neugieriger Blick, aber da niemand mit Ian bekannt war, machte auch niemand Anstalten, sich ihnen zu nähern.
» Ich habe so Hunger!«, klagte Dorothea nach einem Blick auf das üppige Büfett. » Ich konnte ja angeblich nichts essen. Und jetzt stehe ich vor diesem Schlaraffenland und weiß nicht, wie ich es bewerkstelligen soll. Wie machen es nur diese Muselmaninnen, dass sie nicht verhungern?«
» Soviel ich gehört habe, tragen sie nicht ständig einen Schleier, sondern nur, wenn sie aus dem Haus gehen oder in Anwesenheit fremder Männer«, sagte Ian amüsiert. » Warte hier, ich hole dir einen Teller und halte dann deinen Schleier, während du isst.«
Umsichtig hatte er Speisen gewählt, die nicht allzu ungeeignet waren, wie Krebsschwänze, Scheiben von diversen Pasteten und Wildragout.
» Nicht nur ihr Frauen habt Probleme«, sagte Ian und wies auf Richter Cooper, der sich verzweifelt bemühte, eine Gabel voll Muschelsalat zwischen seinem struppigen Kunstbart hindurchzulavieren. » Ich wette, das hat er nicht bedacht.« Selbstzufrieden strich er über seinen mit Schuhwichse steif geformten Schnauzbart.
Ians Methode funktionierte bestens. Mit einem zufriedenen Seufzer schluckte Dorothea den letzten Bissen herunter und reichte ihm den leeren Teller zurück. Während er sich verköstigte, beobachtete sie fasziniert die anderen Gäste. Nicht nur sie schien die ungewöhnliche Atmosphäre zu genießen, welche die Anonymität den meisten bot. Ungläubig verfolgte sie, wie unverfroren manche der Anwesenden, versteckt hinter Schleiern und Bärten, flirteten.
Ein Maskenball ließ die Leute nicht nur anders aussehen– sie benahmen sich auch anders. Oder wäre es unter normalen Bedingungen auch nur vorstellbar gewesen, dass die durch und durch korrekte Mary Kilner nicht nur ihren Verlobten mit koketten Augenaufschlägen bedachte?
Vielleicht lag es auch an dem indischen Punsch, der so reichlich ausgeschenkt wurde? Er wurde in Henkelbechern serviert, mit einem Strohhalm, der nicht nur das Trinken an sich erleichterte, sondern auch dazu animierte, mehr von dem Getränk zu konsumieren, als man es unter anderen Umständen getan hätte. Es schmeckte wirklich ausgezeichnet: genau richtig ausbalanciert zwischen säuerlich und süß, mit einer exotischen Note, die Dorothea sehr zusagte. » Ich glaube, das reicht fürs Erste«, sagte Ian, als sie ihm zum dritten Mal ihren leeren Becher hinhielt, um ihn erneut füllen zu lassen. » Was hältst du von Tanzen?«
» Kannst du denn tanzen?« Aus einem der hinteren Säle drangen die Klänge einiger Geiger, schmelzend und mitreißend. Dorothea hatte mit August früher öfter Walzer geübt. Nach anfänglichen Bedenken der Obrigkeit wegen der zu großen Freizügigkeit hatte der Tanz aus Österreich dann doch die öffentlichen Tanzsäle
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