Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
sie gelassen, ohne auf Dorotheas offenes Entsetzen einzugehen. » Nein, es ging alles nach den Regeln. Tim hat mich ihm abgekauft, und damit bin ich in seinen Besitz übergegangen. Jetzt gehöre ich ihm.«
» Das ist ja Sklaverei!«, empörte Dorothea sich.
» Was ist Sklaverei?«
» Es war gar nicht so einfach, Jane das zu erklären!«, sagte sie ein paar Tage später, als sie mit Miles Somerhill wieder ihre Notizen für den neuesten Artikel sichtete. Chefredakteur Stevenson hatte nach einem kurzen Blick in ihre erste Beschreibung über das » Leben einer Eingeborenen vom Kaurna-Stamm« diese als » talentiert, aber noch ein wenig ungeschliffen« bezeichnet und vorgeschlagen, dass Miles Somerhill sie in » die Tricks und Kniffe der Zeitungsschreiberei« einweihen sollte.
» Es geht vor allem darum, die Leser nicht zu langweilen«, hatte der ihr eingeschärft. » Das ist die größte Todsünde für einen Journalisten. Die zweite, jedenfalls hier in Adelaide, ist, die werte Leserschaft mit obszönen Details zu schockieren. Dass der Akt mit einem Mann dazu dient, einer Kinderseele den Weg zu bahnen, und deswegen so oft wie möglich vollzogen wird, lassen wir weg. Es reicht, wenn Sie schreiben, dass die Eingeborenen glauben, die Kinderseelen schwebten in der Geisterwelt herum und suchten sich von da aus ihre zukünftigen Mütter selber aus. Überhaupt– wir müssen aufpassen, dass wir die Empfindsamkeit der Damen der Literarischen Gesellschaft nicht beleidigen.«
Sie hatte seine Ratschläge befolgt, und das mit so gutem Erfolg, dass Dorotheas Artikel inzwischen sowohl in der Literarischen Gesellschaft, dem wichtigsten Zirkel Adelaides, als auch in Regierungskreisen äußerst wohlwollend aufgenommen und kommentiert wurden.
» Ich fürchte, ich bin inzwischen zu sehr an Janes Art gewöhnt, um noch über irgendetwas schockiert zu sein«, gab Dorothea zu. » Was ich als verabscheuungswürdig bezeichne, ist für sie bloß eine Tradition, die sie ohne Widerwillen akzeptiert. Sie ist so vollkommen anders. Manchmal werde ich ganz wirr im Kopf.«
» Interessant. Und was irritiert Sie besonders?«
» Diese Geschichte mit dem ›in den Busch gehen‹«, platzte Dorothea heraus und wurde im selben Augenblick knallrot. Was musste Miles Somerhill jetzt nur von ihr denken! Warum hatte sie nicht den Mund gehalten? » Ich meine, bei ihr hört es sich an, als ob unsereins sagen würde: Ich habe etwas gegessen«, versuchte sie zu erklären. » So, wie soll ich sagen… als wäre es ganz selbstverständlich.«
Somerhills Mund verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. » Und wenn es für sie eben tatsächlich so selbstverständlich ist wie zu essen oder zu trinken? Schließlich wäre die Menschheit ohne diesen ›Akt‹, wie er so schamhaft genannt wird, schon längst ausgestorben.«
Dorothea wurde bewusst, dass die Unterhaltung in eine Richtung driftete, die ganz und gar nicht schicklich war. Ihre Mutter hätte sich spätestens in diesem Moment laut geräuspert, und ihr Vater hätte augenblicklich dafür gesorgt, dass das Thema gewechselt wurde. Aber keiner von beiden war anwesend. Überhaupt war niemand anwesend, wie sie auf einmal feststellte.
Verlegen fixierte sie den zweiten Knopf seiner Weste, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen. » Jetzt sehen Sie aus, als ob Sie am liebsten die Flucht ergreifen würden! Soll ich mich entschuldigen, dass ich Sie mit meinen ungehörigen Bemerkungen in Verlegenheit gebracht habe?« Seine Stimme klang sanft und dunkel. Etwas in ihrem Inneren reagierte darauf mit dem irrwitzigen Wunsch, sich in seine Arme zu werfen und ihn zu bitten, sie zu küssen. Plötzlich war das Einzige, woran sie denken konnte, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn er seine Lippen auf ihre presste. Wie würde er schmecken?
» Vertrauen Sie mir?«, fragte Somerhill sanft und erhob sich von seinem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs. Unschlüssig sah sie zu ihm auf, während er langsam um den Tisch herumgeschlendert kam. Die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr riet, vor dem inneren Aufruhr, den seine Nähe in ihr anrichtete, erst einmal zu flüchten, hatte keine Chance. Wie gebannt versuchte sie, in seinem Gesicht zu lesen. Er würde sie küssen, das war klar. Ihr Herz klopfte so stark, dass sie glaubte, er müsste es hören. Schließlich war er inzwischen nahe genug.
» Vertrauen Sie mir?«, fragte er erneut. Seine Stimme klang anders als sonst, irgendwie rauer. Dorotheas geschärfte Sinne
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