Wenn die Liebe erwacht
haben. Dann brauchte er sie nicht zu sehen, und sie mußte die Schande nicht ertragen, von ihrem Gatten aus dem Haus gewiesen worden zu sein. Trotzdem würde er ihre Erwartungen, Kinder zu bekommen und ein normales Eheleben zu führen, vernichten. Wieder kreisten seine Gedanken um die Frage, ob er mit ihr schlafen konnte oder ob ihr Anblick ihn abstoßen würde. Jeder Mann wollte einen Erben, und in dieser Hinsicht unterschied er sich nicht von anderen Männern. Aber wenn ihr Äußeres es ihm unmöglich machte …
Für einen Mann, der gewöhnlich Nerven wie Drahtseile hatte, waren das sehr unangenehme Gefühle. Am morgigen Tag würde er mit ihr schlafen müssen, zumindest dieses eine Mal, denn ihre Eltern und die übrigen Hochzeitsgäste würden das Bettzeug der Hochzeitsnacht inspizieren, wie es der Brauch war. Es war ihm anheimgestellt, auf einige der Bräuche zu verzichten, zum Beispiel darauf, daß sie feierlich zu Bett geleitet wurden, aber es gab keine Möglichkeit, die Begutachtung der Laken zu verhindern, die dazu diente, die Jungfräulichkeit des Mädchens zu bestätigen. Er würde mit ihr schlafen müssen oder sich mehr Hohn und Spott aussetzen müssen, als sein hitziges Naturell verkraftete.
8. KAPITEL
Leonie kam zu sich, weil Wilda bestürzt aufschrie. Sie hätte das Mädchen dafür verfluchen können, daß sie sie geweckt und dadurch ihre Schmerzen wieder wachgerufen hatte.
»Was hat man Ihnen angetan, Mylady!« klagte Wilda. »Ihr Gesicht ist ganz dunkel und geschwollen. Mögen sie in den Feuern der Hölle rösten! Möge die Hand, die es gewagt hat, Sie zu berühren, verfaulen und abfallen! Möge …«
»Sei doch still, Wilda!« fauchte Leonie, die versuchte, ihren Kiefer so wenig wie möglich zu bewegen. »Du weißt doch, wie leicht ich blaue Flecken kriege. Ich bin sicher, daß ich schlimmer aussehe, als ich mich fühle.«
»Ist das wahr, Mylady?«
»Bring mir den Spiegel.«
Leonie versuchte zu lächeln, um die Ängste des Mädchens zu zerstreuen, aber ihr Kiefer und ihre gesprungenen, blutigen Lippen taten so weh, daß sie es nicht fertigbrachte. Der Spiegel aus poliertem Stahl, der ihr gereicht wurde, bestätigte ihr, daß sie wie jemand aussah, der von den Hufen eines Streitrosses getroffen worden war.
Eines ihrer Augen war ganz zugeschwollen, das andere nur noch ein Schlitz. Das Blut war auf ihren Lippen, auf ihrem Kinn und unter ihrer Nase getrocknet, aber es setzte sich kaum gegen die blauschwarzen Quetschungen ihres geschwollenen Gesichtes ab, das vollkommen verfärbt war. Ihr graute davor, sich auszumalen, wie ihre Brust und ihre Arme aussehen mochten, denn Richer hatte seine Schläge nicht auf ihren Kopf beschränkt.
Sie war vollständig angekleidet und trug noch dasselbe, was sie angehabt hatte, als Richer fortgegangen war. Außerdem mußte jemand dafür gesorgt haben, daß Wilda am letzten Abend nicht zu ihr gekommen war, um sie auszukleiden. Sie vermutete, daß sie bewußtlos geworden und von da an nicht mehr zu sich gekommen war.
»Ich finde, ich habe schon besser ausgesehen«, sagte Leonie und legte den Spiegel hin. »Ich dachte, er hätte mir die Nase gebrochen, aber jetzt glaube ich, daß sie wieder heil wird – wie der Rest von mir auch.«
»Wie könnt ihr darüber scherzen, Mylady?«
»Weil es besser ist, als zu weinen, und genau das täte ich, wenn ich mir vorstelle, was diese Schläge erreicht haben.«
»Sie werden ihn also doch heiraten?«
»Du weißt es?«
»Mylady, die Pferde sind gesattelt und warten schon. Alles ist bereit zur Abreise … bis auf Sie.«
Leonie hätte alles darum gegeben, die Geschehnisse aufzuhalten, aber jetzt, nachdem sie ihr Wort gegeben hatte, bei allem, was ihr heilig und beim Grab ihrer Mutter geschworen hatte, würde sie Rolfe d’Ambert heiraten müssen. Es änderte nichts, daß das Gelübde aus ihr herausgeprügelt worden war – sie hatte die Worte nachgesprochen, und jetzt würde sie sich daran halten müssen.
Wie gern hätte sie geweint! Sie war so sicher gewesen, Richer standhalten zu können, aber sie hatte sich geirrt. Er hatte sie wieder und immer wieder geschlagen, und als sie nicht gebettelt und nachgegeben hatte, begann er, seine Fäuste einzusetzen. Sie hatte alles hingenommen, was sie ertragen konnte, weil sie glaubte, die Prügel könnten nicht schlimmer sein als das, was der Schwarze Wolf mit ihr plante, ganz gleich, was es sein mochte. Aber als ihr klar wurde, daß Richer sie umbringen würde, wenn ihn niemand
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