Wenn die Liebe erwacht
Er glaubte, es sei eine Strafe für sie, und in Wirklichkeit befahl er ihr, das zu tun, was ihr am meisten Vergnügen bereitete. Sie hätte den Vorschlag von sich aus gemacht, wenn sie nicht gefürchtet hätte, er würde ihn ablehnen. Schließlich hatte er ihr jegliche Verantwortung in Crewel aus den Händen genommen – bis zu diesem Augenblick.
Es gelang ihr, ihre Freude zu verbergen, als sie sich wieder zu ihm umdrehte. »Wenn es noch etwas gibt, worüber du sprechen willst, Mylord? Andernfalls lasse ich dir jetzt dein Abendessen schicken.«
»Wirst du mir dabei Gesellschaft leisten?« fragte er schläfrig. Das Morphium, das er aus der blauen Flasche getrunken hatte, tat seine Wirkung.
»Wenn du es wünschst.«
»Gut. Und noch etwas, Leonie, wo hast du eigentlich geschlafen?«
»Ich … ich habe ein paar meiner Sachen in eines der Zimmer gegenüber von den Unterkünften der Dienstboten gebracht.«
»Bring sie wieder hierher.« Er war zwar sehr schläfrig, aber schien keinen Widerspruch zu dulden. »Du wirst von jetzt an hier schlafen.«
»Wie du wünschst, Mylord«, murmelte sie errötend.
Sie verließ das Zimmer und fühlte sich glücklich und besorgt zugleich.
28. KAPITEL
Ein Feuer knisterte in dem großen Kamin, als die Dienstboten durch den Saal liefen und unter Wildas Aufsicht die Tische deckten. Amelia arbeitete vor dem Feuer an ihrer Stickerei und übersah bewußt, was um sie herum vorging. Neben ihr saß Sir Evarard, der sich, nachdem er seine Pflichten erledigt hatte, einen großen Krug Bier genehmigte.
Als Leonie aus dem Gemach ihres Mannes kam und die Treppe hinunterlief, richteten sich Amelias Augen auf sie. Sie beobachtete gebannt, wie Leonie ein paar Worte mit ihrer Zofe wechselte und dann den Saal verließ.
Amelia lehnte sich mit einem selbstgefälligen Lächeln zurück. Sie hatte auf den Tag gewartet, an dem Rolfe seine Frau wegen ihrer Vergehen zur Rede stellte. Evarard hatte ihr erzählt, was Rolfe vermutete, und ob es stimmte oder nich t – jetzt würde er Leonie mit Sicherheit wieder nach Pershwick schicken.
Amelia war ihr aus dem Weg gegangen, als Rolfe verwundet worden war, denn wenn er gestorben wäre und niemand seiner Frau die Schuld hätte nachweisen können, hätte Amelia ihre Sachen packen müssen. Sie konnte es sich nicht leisten, mit Leonie verfeindet zu sein.
Aber jetzt hatte sich Rolfe wieder erholt und glaubte, seine Frau hätte ihm den Tod gewünscht.
»Glaubst du, er hat ihr gesagt, sie soll ihre Sachen packen?« fragte Amelia Evarard, der ebenfalls beobachtet hatte, wie Leonie den Saal durchquert hatte und die Treppe zu den Unterkünften der Dienstboten hinaufgestiegen war.
»Packen? Wieso?«
»Natürlich, damit sie nach Pershwick zurückgeht.«
»Warum sollte sie das?«
Amelia starrte ihren Liebhaber wütend an. Immer mußte sie ihm jede Kleinigkeit erklären, weil sein Verstand völlig anders als ihrer funktionierte. Sie konnte Sir Evarard niemals etwas anvertrauen, weil er ein Mann war, der seine Ehre als Last mit sich herumtrug.
»Hast du mir nicht gesagt, er macht sie für das Feuer in der Mühle und den Angriff auf ihn verantwortlich?« flüsterte sie unsicher.
»Das war ein Irrtum«, sagte Evarard beiläufig.
»Ein Irrtum? Wer hat sich geirrt?«
Evarard zuckte die Achseln. »Sir Rolfe weiß jetzt, daß er sich getäuscht hat.«
»Woher weißt du das? Hat er es dir selbst gesagt?«
»Sir Thorpe hat es gesagt, ehe er fortgeritten ist. Er hat die Belagerung von Warling begonnen.«
»Aber er hat doch Rolfe gepflegt.«
»Lady Leonie wird sich jetzt um ihn kümmern, und daher gibt es für Sir Thorpe keinen Grund mehr, hierzubleiben.«
Amelia biß die Zähne aufeinander. »Glaubst du, sie wird ihn immer noch pflegen, wenn er erst hört, was sie mit dem armen Erneis angestellt hat?«
»Sir Rolfe wird das auf seine Weise regeln, aber ich bezweifle, daß er seine Frau verstoßen wird, weil sie ihre Vollmachten überschritten hat. In jeder anderen Hinsicht ist er sehr zufrieden mit ihr. Sieh dir nur an, was sie alles getan hat, seit sie hier ist.«
Amelia unterdrückte einen Aufschrei der Wut und stach statt dessen mit der Nadel in ihre Stickerei. Evarard schien ihren Zorn nicht zu bemerken.
Es war einfach ungerecht! Gerade jetzt, wo Amelia schon angefangen hatte, zu hoffen, sie könne ihre Heuchelei aufgeben und sagen, sie hätte eine Fehlgeburt gehabt. Nun mußte sie ihr Verhältnis mit Evarard fortsetzen, zumindest solange, bis er sie
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