Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
ich sie besuchte, roch es nach frisch aufgebrühtem Kaffee und Gebäck. Hier konnte ich wieder atmen. Zum ersten Mal seit zwei Wochen erwachte ich auch nicht mehr schweißnass und weinend aus meinen Albträumen, in denen sich Mati stets über mich gebeugt, seine Hand zu einer Pistole geformt und gesagt hatte: „Peng! Du bist tot!“ Diese Träume waren so realistisch, das ich mich nicht mehr traute weiterzuschlafen und stattdessen die ganze Nacht vor dem Fernseher verbrachte.
llka von der Beratungsstelle in München hatte inzwischen einen Anwalt gefunden, der bereit war, mich zu vertreten.
Es war ein gutes Gefühl, einen erfahrenen Juristen an meiner Seite zu haben. Er hieß Conrad und war ein erfahrener, scharf denkender älterer Herr, dem man nichts vormachen konnte.
Tagsüber unternahm ich ausgedehnte Spaziergänge mit David. Manchmal saßen wir auch stundenlang im Sandkasten, bauten Burgen und backten Kuchen. Wohl niemand, der uns sah, hätte sich vorstellen können, dass die Mutter, die dort mit ihrem kleinen Jungen im Sandkasten spielte, ein dunkles Geheimnis barg.
Am 20. Oktober erwachte ich um Punkt sieben Uhr. Was mich dazu brachte, noch vor David die Augen aufzuschlagen, weiß ich nicht. Als hätte ich unterschwellig gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war. Mütter kennen dieses Gefühl, wenn ihr Kind hinfällt und sich wehtut.
Obwohl man nichts sieht oder hört, spürt man den Schmerz tief in der eigenen Seele. Ich schob David vorsichtig zur Seite, legte ihm sein Kuscheltier neben das Kopfkissen und schlich mich leise aus dem Zimmer, um ihn nicht zu wecken. Ich hoffte, in aller Ruhe meinen Morgenkaffee trinken und die Frühnachrichten im Fernsehen sehen zu können, ehe der Tag richtig losging. Ich steckte die Haare nachlässig nach oben und zog mein T-Shirt über die Knie, da es in der Wohnung ziemlich kühl war. Außerdem herrschte Zugluft im Flur, daher streifte ich mir ein paar alte Wollsocken über. Dann stapfte ich in die Küche, um Kaffeewasser aufzusetzen. Was mich entgegen meiner Gewohnheit dazu veranlasste, das Radio anzustellen, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich war es dasselbe Gefühl, das mich so früh geweckt hatte. Ich suchte die nächstbeste Frequenz, und was ich hörte, ließ mir das Blut in den Adern stocken:
„Eine heftige Detonation ... Kirche in Unterhaching ... weiträumig abgesperrt ...“
Dann verstand ich nichts mehr, weil mein Schrei alles übertönte. Ich hatte das Gefühl, meinen Körper zu verlassen und unter der Zimmerdecke zu schweben. Ich sah mich selbst auf dem Boden stehen, in einem zu großen, schmuddeligen T-Shirt und ein paar verschlissenen Wollsocken, die mit Kaffeepulver bestäubt waren. Die knochige, blasse Frau dort unten heulte, während sie gleichzeitig an ihren Haaren zerrte. Zwischen den Schluchzern flüsterte sie immer wieder dieselben Worte: „Das ist meine Schuld! Das ist meine Schuld! Ich habe die getötet, die ich liebe ...“
Damit endet meine Erinnerung an diesen Morgen. Ich war eine tapfere Kriegerin gewesen, die von ihrem Feind bezwungen worden war und nun schwer verletzt am Boden lag. Eine Frau namens Maria sorgte später dafür, dass David sein Frühstück bekam. Ich hatte das Gefühl, mir sei das Rückgrat gebrochen worden. Ich konnte mich einfach nicht mehr auf den Beinen halten, sondern hockte zusammengekauert auf dem Fußboden. Später, als ich wieder einigermaßen bei Sinnen war, versuchte ich verzweifelt, telefonisch jemand zu erreichen, der etwas Genaueres wusste. Doch meine Eltern waren nicht zu erreichen, und mein Anwalt war bereits dabei, Informationen einzuholen, seit er selbst in der Früh die Nachrichten gehört hatte. Schließlich konnte ich mit einem Mann vom Polizeipräsidium in München sprechen, der mir mitteilte, dass unmittelbar vor der Kirche in Unterhaching eine Bombe gefunden worden sei. Da der Zünder nicht richtig funktionierte, habe man sie mittels einer Druckwelle entschärfen können. Mit dem Bombenleger sei jedenfalls nicht zu spaßen.
Mona kam am Nachmittag zu mir, um mir einige Fragen zu stellen. Sie war gezwungen, ihre vierjährige Tochter mitzunehmen, weil man auf dem Polizeirevier trotz des jüngsten Vorfalls offenbar niemand anderen hatte, den man auf den langen Weg zu mir schicken konnte. Die Sicherheitsmaßnahmen waren nun drastisch verschärft worden, und ich durfte unter keinen Umständen Kontakt zu meiner Familie aufnehmen.
Man fürchtete, dass mein oder das Telefon meiner Eltern abgehört
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