Wenn die Wahrheit nicht ruht
keineswegs.
Schuldbewusst senkte er den Blick. „Ist ja gut. Aber ich bin hier schliesslich nicht der einzige, der die Finger nicht vom anderen Geschlecht lassen kann.“
Offen erwiderte Leonie Sörens Blick. „Ich weiss nicht, wovon du sprichst.“
„Ach nein? Und was ist mit diesem…“ , Sören tat, als müss t e er kurz überlegen, „wie hiess er noch mal? Sebastian oder so ähnlich?“
Die Erwähnung dieses Namens erweckte in Leonie wieder alle Lebensgeister. Erst fluchte sie, dann sprang sie derart unerwartet vom Bett, dass Sören erschrak. „Wow, der scheint ja wirklich Eindruck hinterlassen zu haben.“
„Was?“ Irritiert sah sie Sören an. „Nein! Sebastian “ , wild fuchtelte Leonie mit den Armen, „ er hat noch den Ordner!“
„Ordner?“ Sören verstand kein Wort.
„Der blaue Ordner, den ich aus dem Haus geklaut hab, bevor wir zurückgegangen sind.“
Leonie sah Sören um Verständnis heischend an. „Ich habe ihn ohne nachzudenken Sebastian in die Finger gedrückt! Ich muss ihn zurückholen , bevor er auf dumme Gedanken kommt !“ Und dann war sie zur Tür raus. So schnell, dass sie den steinernen Aschenbecher achtlos auf den Stuhl legte , weshalb sie den unscheinbaren , roten Fleck an der einen Kante nicht bemerkte.
Sören beeilte sich ihr hinterherzukommen und versuchte, sich während er rannte anzuziehen. „Leonie, warte! Ich komme mit!“ Tatsächlich blieb Leonie stehen und musste über Sörens erbärmliche Versuche g rinsen. „Ich denke, soviel Zeit, dass du dir was überziehen kannst, haben wir noch. Aber die Schuhe lässt du bitte hier. Es sieht aus, als klebe da noch Blut vom Zumbrunn dran.“
Die Sohle nach oben gedreht betrachtete Sören den Schuh. Dann trat er kommentarlos zurück ins Zimmer.
Die Tür flog auf und zwei aufgewühlte Gemüter stürzten vollkommen ausser Atem in die Bar. Erstaunt wandten sich Angela und Sebastian um. Sonst war niemand mehr da. Argwöhnisch begutachtete Angela die Eindringlinge . „Ihr seht aus, als hättet ihr gerade eben eine heisse Begegnung im Stroh gehabt.“ Da keiner von beiden zu begreifen schien, hob Angela wortlos ein silbernes Tablett. Das Spiegelbild sagte mehr als tausend Worte. Sofort begann Leonie ihr Haar glatt zu streichen.
„Na, wie war euer kleiner Ausflug?“
Leonie biss sich auf die Unterlippe. Obwohl sie Sebastians Anwesenheit bemerkt hatte, zog es ihr den Magen zusammen, als er sie direkt ansprach . Sie meinte in seiner normalerweise warmen Stimme einen eisigen , vorwurfsvollen Unterton gehört zu haben. V ielleicht war das auch nur ihr schlechtes Gewissen. Aber weshalb sollte sie ausgerechnet ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen haben? Da sie die Antwort auf ihre eigene Frage selbst nicht kennen wollte, schluckte sie sie hinunter , riss sich zusammen und wandte sich zu Sebastian um.
„Aufregend. Kann ich meinen Ordner haben?“
„Hier ist es kälter als in Saschas neuem Tiefkühler. Was genau habe ich verpasst?“ Angela glaubte es kaum, doch selbst ihr Körper reagierte auf den Stimmungsbarometer. Sie fröstelte. Wie aus einem Mund antworteten Leonie und Sebastian gleichzeitig. „Nichts!“
„Ah ja. Und weil es nichts ist, könnt ihr es wie aus der Kanone geschossen im Chor sagen, als hättet ihr zwei Wochen geübt. Schon klar. Nun, früher oder später werde ich es sowieso erfahren. Sören?“ Angela setzte ihr wärmstes Lächeln auf und beugte sich leicht vor. „Möchtest du mir vielleicht etwas mitteilen?“
Bereitwillig wollte Sören zu einer Antwort ausholen, da er nicht einsah, weshalb sein bezauberndes G egenüber nicht Teil dieses Abenteuers sein sollte, als Leonie ihm zuvorkam. „Angela, um deinetwillen solltest du das wirklich besser nicht erfahren.“
Sebastian kannte Angela schon lange genug um zu merken, dass Angelas Interesse jetzt erst recht geweckt war. „Gute Taktik , Leonie. Jetzt wird sie nicht Ruhe geben, bis sie es weiss. Angela, deine neue Freundin übt sich als Einbrecherin. Sie ist heute zweimal bei den Zumbrunns ins Haus eingestiegen. Das erste Mal hat sie einen Ordner entwendet und ich nehme an, sie ist genau deswegen jetzt hier. B eim zweitem Mal wollte sie den Tatort begutachten.“
Mit jedem Wort wurde Angela wachsamer. „Das ist jetzt nicht dein Ernst! Leonie!“
Eigentlich hatte sich Leonie innerlich bereits gewappnet, aus der Bar geworfen und mit Schimpf und Schande zum Teufel geschickt zu werden. Doch das aufgeregte Leuchten in Angelas Augen entsprach
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