Wenn die Wahrheit nicht ruht
zurückholte. „ Dein Vater hat seine Nase schon in Dinge gesteckt, die ihn nichts angingen . Dafür musste er büssen und du jetzt auch .“ Leonie wollte schreien, um sich schlagen, aber ihr Körper bemühte sich umsonst. Kein e Luft drang mehr in ihre Lunge. Sie konnte nur noch kurz ein Licht erkennen , dann war en die unerträglichen Qualen vorbei .
Der Angreifer liess von dem regungslosen Körper ab und eilte so schnell es ging in den Schutz der Dunkelheit. Er verschwand gerade noch rechtzeitig zwischen den Bäumen, bevor der Lichtkegel einer Taschen lampe auf Leonies Gesicht traf.
Es blendete. Ausmachen, es ist zu hell. Was war das nur? Sollte es nicht herrlich warm und schön sein? Ein Schlag, Schmerzen. Was soll das? Weit entfernt leise Stimmen. Riefen sie nach ihr? Papa? Nein, zu eindringlich. Nicht liebevolle Erwartung. Lippen. Waren das Lippen? Was war hier los?
„Leonie! Hör mal, du kleine Nervensäge, wage es ja nicht, dich einfach so aus dem Staub zu machen !“ Sebastian be ugte sich erneut über Leonie, hielt ihr die Nase zu und blies Luft in ihren Mund, bis sich ihre Brust zum Zeichen der gefüllten Lungen anhob.
D ann spürte er auf einmal eine Bewegung unter seinen Händen. Er liess von Leonie ab und setzte sich erwartungsvoll auf seine Fersen . Und tatsächlich, Leonie öffnete die Augen und als wäre sie kurz vor dem Ertrinken gewesen , sog sie gierig die kalte , frische Luft ein, was in einem rauen , heftigen Hustenanfall endete.
Gequält fasste sie sich an ihren wunden Hals, der höllisch schmerzte. Erleichtert griff Sebastian nach ihren Schultern, zog sie weit genug hoch, um sein Bein unter ihren Rücken zu schieben, bettete sie an seine Brust und umarmte sie fest. Immer noch hustend, aber weitaus besser atmend, legte sie ihren Kopf in seine Halsbeuge, was ihn zum Schmunzeln brachte.
„Und ich dachte, du stehst nicht darauf, dich in den Schutz zweier starker Arme zu begeben?“
Ein seltsam gurgelnder Laut kroch aus Leonies Kehle, den Se bastian nicht hätte deuten können , wären nicht heisere Worte gefolgt. „Ist so. In deinen Armen verstosse ich aber auch nicht gegen dieses Prinzip.“
„Ja, ich seh ’ schon, du bist wieder in Ordnung. Dann komm, das Haus ist nicht mehr weit.“
Er half ihr auf die Beine, doch sie sackte sofort wieder weg. „Na toll, jetzt muss der Schwächling sich doch noch Muskeln zulegen und gegen deine Grunds ätze verstossen, tut mir leid.“
Zwar erwies sich die dicke Winterkleidung als reichlich unpraktisch, um den Ritter zu spielen, der seine Maid nach Hause trug, aber das geschah schliesslich auch nur im Märchen. Deshalb legte sich Sebastian Leonies Arm soweit um den Nacken, dass sie zwar noch selbst lau f en musste, er aber weitestgehend ihr Gewicht trug. Auf diese Weise stolperten sie zusammen den Weg entlang, bis ein d unkles Holzhaus sichtbar wurde, das ein we nig an ein Hexenhaus erinnerte.
„Ach , und übrigens: Bitte , gern geschehen. Ich hätte dich nicht suchen müssen, nachdem du so spät dran warst und ich dich auf dem Handy nicht mehr erreichen konnte, obwohl du mich zuerst konta ktiert hast. N ur , damit du’s weiss t.“
Sebastian entkam Leonies bissigem Kommentar, denn kaum traten die beiden auf den Eingang des Hauses zu, wurde die Tür auch schon geöffnet .
„Himmel, was ist denn passiert?“ Der Mann an der Tür hatte weissgraues Haar, aus seinem von Falten zerf urchtem Gesicht strahlten zwei h onigbraune Augen, die denen von Sebastian gleichkamen. In Sachen Körpergrösse wurde er aber von seinem Sohn überragt. Die Hand an der Tür war kräftig und breit und trotz des kleinen Bauchansatzes schien der Mann gut in Form zu sein. „Bring sie ins Wohnzimmer, sie kann sich dort auf das Sofa beim Kamin legen.“
Sebastian tat wie geheissen. Er setzte Leonie auf dem Sofa ab, half ihr Jacke und Schuhe auszuziehen und zwang sie mit s anftem Druck, sich hinzulegen. Bevor er sich zu ihr setzte, nahm er die Decke, die über der Couchlehne hing und breitete sie über ihr aus. Einem Impuls folgend strich er ihr übers Haar und sah sie einen Augenblick lang einfach nur an. Es entstand eine seltsame Stille, die nur vom Knacken des Holzes im Cheminée unterbrochen wurde. Und schliesslich von Sebastians Vater.
„Hier, das wird dir gut tun.“ Er machte sich gar nicht erst die Mühe, sich wie ein Störenfried vorzukommen. Während sich seine Besucher ihm verlegen, wie zwei ertappte Kinder beim Spiel mit dem Feuer, zuwandten.
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