Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
Reisebüro. Drei Wochen vor Ur-laubsantritt wurden die Pässe zur Verlängerung eingereicht, zwei Tage vor dem Abflugtermin die Reise storniert.
Die Folge, die Pässe zur Verlängerung eingereicht zu haben, war die Schaffung eines starken Überzeit-felds, das sicherstellte, daß die Bearbeitung der Pässe wenigstens vier Monate dauern würde. Die Stornie-rung der Urlaubsreise durchbrach dieses Feld, und 362
der dadurch freigesetzte ungeheure Druck wirkte sich mit voller Wucht auf die gemeinsame Nahtstelle von Zeit und Überzeit aus und riß Löcher hinein, die groß genug waren, daß Menschen durch sie hindurch-schlüpfen konnten. Der Zeitreiseurlaub wurde in der Überzeit verbracht, was bedeutete, daß man sechs Wochen im Florenz der Renaissancezeit verbringen und dennoch rechtzeitig zu Hause sein konnte, um am Morgen nach dem Abflug zur Arbeit zu gehen.
Mit anderen Worten ist das irdische Zeitsystem, das am Nachmittag des fünften Tages durch eine von Gott gegründete Firma namens Normalzeit (in den Goldenen Seiten mit dem Zusatz ›preiswert und all-zeit bereit‹ verzeichnet) eingeführt wurde, ein klassi-sches Beispiel für einen ›Hurra-gleich-ist-Wochen-ende-Job‹ und in sich völlig instabil. Wenn der Mensch im Garten Eden geblieben wäre, wo das Chronometer an einem lauschigen Sommerabend um halb sieben stehengeblieben ist, hätte das keine Bedeutung gehabt. Als Adam aber erst einmal das Paradies verlassen hatte, konnte jedes dramatische Ereignis – ein erfolgreicher Kreuzzug zum Beispiel stattfinden, wann es wollte, in der Mitte der nächsten Woche zum Beispiel. Oder möglicherweise noch später.
Demgemäß telefonierte Gott am achten Tag mit seinen Anwälten und stellte ihnen alle möglichen Fragen, die mit Produkthaftung zusammenhingen.
Blondel riß entsetzt die Augen auf und grapschte verzweifelt nach dem Türrahmen, um seinen Fall zu 363
bremsen. Das Problem war, daß der Türrahmen nicht mehr vorhanden war.
Was allerdings durchaus einleuchtete; schließlich braucht man in einer Höhle keinen Türrahmen, und in einer solchen war Blondel gerade eindeutig gelandet. In einer kleinen Höhle, die sich direkt zu einer jäh abfallenden Felswand hin öffnete. Also gut.
Vier Sekunden später fand er sich zu seiner großen Erleichterung im Wasser wieder; genausogut hätte er auf einer Klippe, ausgedörrter Erde oder einem dichten Dornbusch landen können. Nachdem er sich wieder an die Oberfläche gekämpft und einen Molch ausgespuckt hatte, trat er für eine Weile Wasser und versuchte herauszufinden, wo er war.
Wie er annahm, befand er sich noch immer in einer Höhle, nur in einer sehr viel größeren Höhle als zuvor.
Hoch über ihm war die Decke zu sehen, die ge-schmackvoll mit Stalaktiten verziert war. Die Fels-grotte, aus der er gerade gefallen war, war nur eine von vielen. An den Wänden lehnten simpel gefertigte Leitern, die zu dem schmalen Strand (oder wie man das auch immer nennen wollte) hinunterführten, der sich um den Rand des Sees zog, in den er gerade ge-stürzt war.
Außerdem war das Wasser eiskalt.
Mit langsamen Zügen schwamm er ans steil abfallende Ufer und zog sich aus dem Wasser. Während er letzteres tat, bemerkte er direkt vor sich zwei Fü-
ße, und blieb lieber dort, wo er gerade war.
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Füßen ist es schon immer schwergefallen, bedrohlich auszusehen, diese hier aber schienen den Dreh herauszuhaben. Dabei spielten weniger die Größe oder die ungeheuer bizarre Schnittweise der Nägel eine Rolle, und nicht einmal die unwirtliche Umgebung trug das Ihre dazu bei. Das Gefühl, tief in Schwierigkeiten zu stecken, war rein intuitiv, doch hatte Blondel schon immer eine hervorragend funktionierende Beziehung zu seiner Intuition gehabt. Er blickte nach oben.
Der Besitzer der Füße war nur etwa anderthalb Meter groß und auffällig behaart. Das Wenige, das unter dem dichten Haarwuchs von seinem Gesicht zu erkennen war, hatte ein affenartiges Aussehen, was in erster Linie am kräftigen Unterkiefer lag, der den Eindruck machte, als wäre er zu lange der Sonne ausgesetzt gewesen und dabei geschmolzen. Als wä-
re das alles nicht bereits unangenehm genug, hielt der Fremde einen schweren Felsbrocken in den Händen, und wahrscheinlich hob er ihn nicht gerade über den Kopf, nur um die Bizepse zu trainieren – zumal letztere alles andere als einen unterentwickelten Eindruck erweckten. Blondel tauchte rasch unter, und kurz darauf schlug der Fels an der Stelle vom Ufer nieder, an der
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