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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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er sich kurz zuvor aus dem Wasser hatte hieven wollen.
    »He! Immer schön langsam!« rief Blondel, als er ein paar Meter vom Ufer entfernt wieder auftauchte.
    Der Fremde grunzte zornig und hob den Felsbrocken wieder auf. Alles deutete darauf hin, daß er das, 365
    woran es ihm an intellektuellem Format fehlte, durch unermüdliche Ausdauer wettmachen wollte.
    Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Blondel eine ähnliche Gestalt, die sich langsam näherte. Dieser Kerl trug eine Steinaxt bei sich, und alles an ihm wies darauf hin, daß er gerade aus einem Schlaf gerissen worden sein mußte, den er dringend benötigt gehabt hätte. Andere folgten ihm. Keine angenehmen Aussichten.
    »Entschuldigung«, sagte Blondel so ungezwungen wie möglich, »aber könnte mir einer der Herren vielleicht verraten, wie ich am schnellsten … ?«
    Etwa einen Meter neben ihm klatschte es laut und beunruhigend auf dem Wasser, und ihm schlug eine Welle ins Gesicht. Wahrscheinlich handelte es sich um den Felsbrocken von vorhin, entweder um den oder um einen anderen. Blondel tauchte erneut unter und kam erst ein ganzes Stück weiter wieder an die Oberfläche.
    Es fiel ihm nicht leicht, eine der Situation angemessene Entscheidung zu treffen.
    Falls das hier tatsächlich Höhlenmenschen sind, sinnierte Blondel, dann brauche ich nur lange genug abzuwarten, bis sie sich eine Krankheit oder Infektion von mir einfangen, gegen die sie noch nicht immun sind, so daß sie sterben müssen.
    Andererseits hätte dieser Vorgang bis zu seiner er-folgreichen Vollendung eine ganze Menge Zeit beanspruchen können, und das Wasser war unangenehm kalt. Also entschied sich Blondel lieber für die zwei-366
    te ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit und sang L’Amours Dont Sui Epris.
    Wie Blondel im nachhinein sich selbst eingestehen mußte, war dieser Entschluß für die anwesenden Zu-hörer wohl ein wenig zuviel verlangt. Die romani-sche Tradition von Chansons und Minnegesang –
    obwohl diese Musikgattung sehr viel leichter anzunehmen ist als viele andere – entspricht nicht unbedingt dem Geschmack von musikalischen Laien. Er hätte wohl lieber mit etwas Bodenständigerem wie Alle meine Entchen oder Dadada anfangen sollen.
    Vielleicht wären sie dann auf ihren Plätzen geblieben, doch wie sich die Lage nun darstellte, warfen sie erneut mit Felsbrocken nach ihm.
    Nachdem er weitere zehn Meter vom Ufer entfernt wieder aufgetaucht war, versuchte es Blondel einmal mit unorthodoxer Denkweise. Zwar war jetzt eine ganze Menge von diesen Höhlenmenschen da – und einige davon schienen bereits das Grundprinzip der Steinschleuder verstanden zu haben –, doch wenn man es von der positiven Warte aus betrachtete, kam man nicht umhin festzustellen, daß sie keine sehr guten Schützen waren. Folglich hätte es sich durchaus lohnen können, ihnen noch etwa zehn Minuten zu geben, um herauszufinden, ob sie es tatsächlich fertigbrächten, sich durch verirrte Geschosse selbst aus-zulöschen.
    Ein Gefühl extremer Taubheit in den Zehen sprach jedoch entschieden dagegen, und Blondel kam zu 367
    dem Schluß, daß es nicht unbedingt die angenehmste Vorstellung wäre, ausgerechnet in diesem kritischen Augenblick einen Krampf zu kriegen und zu ertrin-ken; folgerichtig suchte er sich den am wenigsten besuchten Teil des Ufers aus und schwamm darauf zu. Gerade als er in die Reichweite der Wurfgeschos-se geriet und sich fragte, ob er wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte, kam ihm wie aus heiterem Himmel – aus dem auch eine Menge kleiner Steine auf ihn zuflogen – eine Idee.
    Erst an dieser Stelle zu erwähnen, daß Blondel die ganze Zeit einen wasserdichten Walkman mit einge-bautem Drucklautsprecher in der Jackentasche bei sich hatte, mag zwar im ersten Augenblick verdächtig nach unaufrichtiger Erzählweise riechen, da sich Blondel jedoch selbst erst gerade daran erinnert hatte, scheint dieses Versäumnis durchaus entschuldbar.
    Seit ihm das Gerät kurz vor dem Auftritt von den Galeazzo-Brüdern mit feierlicher Miene als Einstiegs-prämie für den Abschluß einer Lebensversicherung mit zehn Jahren Laufzeit übergeben worden war, hatte er keinen Gedanken mehr daran verschwendet.
    Jetzt stellte er fest, daß selbst geschenkte Dinge manchmal sehr praktisch sein können. Er trat Wasser, zog das Gerät aus der Tasche, schaltete es ein und drehte den Lautstärkeregler bis zum Anschlag.
    Als zusätzlichen Bonus enthielt das Gerät eine Kassette der Vereinigten Musikkapelle der

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