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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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sagen, daß Sie sich Sorgen machen.«
    »Richtig, und das nicht zu knapp.«
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    »Das ist völlig verständlich«, pflichtete ihm Giovanni bei. »Schließlich kann man von Ihnen nicht erwarten, daß Sie wissen, was als nächstes passiert.
    Woher soll man auch schon wissen, was die unmittelbare oder ferne Zukunft für einen bereithält, nicht wahr?«
    »Genau. Wenn Sie mir deshalb …«
    »Was Sie brauchen, ist ein auf Ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittener Versorgungsplan. Deshalb sollten wir erst einmal Ihre finanziellen Möglichkeiten …«
    Es hatte fast eine Ewigkeit gedauert.
    Aber so war das nun einmal, wenn man sich nur mit einem abgebrochenen Löffelstiel als Werkzeug durch eine vier Meter dicke Mauer arbeiten mußte, die aus einem besonders harten Gemisch aus Mörtel und Kieselsteinen bestand.
    Dann war da das Problem, den ganzen Schutt und Staub zu entfernen; schließlich konnte man den ganzen Dreck nicht einfach liegenlassen, weil sonst die Gefängniswärter etwas mitbekommen hätten und entsprechend mißtrauisch geworden wären. Also mußte man ihn irgendwie außer Sichtweite schaffen.
    Irgendwann war der Gefangene auf die Idee gekommen, den Schutt in Säcke zu stopfen und diese an die Decke zu hängen, weil es dort oben derart dunkel war, daß man sie mit bloßem Auge nicht sehen konnte. Allerdings bestand das einzige Material, das ihm zur Fertigung von Säcken zu Verfügung stand, ledig-140
    lich aus Rattenfellen und Spinnweben – um ein paar Zentimeter einigermaßen rißfesten Faden zu bekommen, bedurfte es buchstäblich Hunderter von Kilometern Spinnweben. Über all die Jahre hindurch hatte er herausgefunden, daß seine Zelle gerade ausreichend Nahrung für eine Ratte und eine Spinne gleichzeitig hervorbrachte. Das klingt dramatischer, als es war, denn wenn der Gefangene irgend etwas im Überfluß besaß, dann war das Zeit. Und während er geduldig darauf wartete, daß die Spinnen ein paar Zentimeter Faden webten und die Ratten an Alters-schwäche eingingen, buddelte er sich langsam, aber stetig voran.
    Und jetzt war er fast fertig. Nur noch etwa fünf Zentimeter, auf keinen Fall mehr, standen zwischen ihm und dem, was auch immer sich auf der anderen Seite der Mauer befinden mochte. Wenn er sich wirklich hineinknien und seine ganze Kraft aufwen-den würde, wäre er in fünf, allerhöchstens in sechs Jahren fertig. Praktisch war er schon frei …
    Er wollte sich gerade wieder an die Arbeit machen, als er draußen im Gang Schritte hörte. Sofort ließ er den Löffelstiel in das Loch gleiten, das er als Versteck in den Boden gebohrt hatte, und setzte sich darauf. Die Tür öffnete sich.
    »Guten Tag«, begrüßte ihn der Gefängniswärter.
    »Guten Tag«, antwortete der Gefangene entgegen-kommend; er pflegte mit dem Personal stets so freundlich wie möglich umzugehen. Schließlich mochte es auch für die Wärter nicht sonderlich auf-141
    regend oder gar befriedigend sein, in einem solchen Gebäude arbeiten zu müssen, und der Gefangene ge-hörte nun einmal zu jenen Menschen, die sich über solche Dinge Gedanken machen.
    »Ich habe eine gute Nachricht für dich«, sagte der Wärter. »Der Kerl aus deiner Nachbarzelle ist gerade gestorben.«
    Der Gefangene wurde kreidebleich im Gesicht; da er seit einer Ewigkeit kein Tageslicht mehr gesehen hatte, fiel dies dem Wärter allerdings nicht sofort auf.
    »Auf welcher Seite?«
    »Wie bitte?«
    »Auf welcher Seite liegt seine Zelle?«
    »Auf dieser hier«, antwortete der Wärter und zeigte nach rechts. Der Gefangene atmete erleichtert auf.
    Gott sei Dank handelte es sich nicht um die Seite, auf der er gegraben hatte.
    »Die Zelle muß ja auf dieser Seite sein«, fuhr der Wärter fort, »schließlich ist auf der anderen gar keine Zelle mehr, da das die Außenwand der Burg ist. Jedenfalls hat dein Nachbar gerade das Zeitliche ge-segnet.«
    »Aha«, antwortete der Gefangene. Warum der Wärter es als eine gute Nachricht bezeichnete, wenn gerade jemand gestorben war, blieb ihm allerdings schleierhaft, selbst wenn er noch nie von diesem Menschen gehört hatte.
    »Und die gute Nachricht daran ist, daß dadurch seine Zelle frei geworden ist. Wir können dich sofort dahin verlegen.«
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    »Aber …«
    »Sie wird dir gefallen. Schöne Südlage. Außerdem ist sie größer als diese hier; sie hat fast einen halben Quadratmeter mehr Wohnfläche. So was kann man schon fast als Großraumzelle bezeichnen. Außerdem quietscht die Tür nicht, und überhaupt ist es

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