Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn und zwanzig verstoßen.«
»Ach, wirklich? Was ist denn mit der Klausel neunzehn?«
»Die gibt es nicht mehr«, klärte Giovanni ihn auf.
»Ursprünglich war darin Ihr Recht festgehalten worden, daß Sie alljährlich eine von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer erstellte Abrechnung erhalten, doch ist die Klausel im nachhinein gestrichen worden.«
»Im Ernst?«
»Ja.«
»Ich verstehe.« Blondel schenkte sich erneut ein Glas Met ein, fischte mit den Fingernägeln ein paar Reste Bienenwachs aus der trüben Flüssigkeit und lächelte matt.
»Aber gegen die restlichen neunzehn Klauseln ha-be ich allesamt verstoßen, richtig?«
»Leider ja«, bestätigte Giovanni. »Trotzdem …«
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»Das ist ein sehr ernstes Vergehen, nicht wahr?«
»Doch, das könnte man so sagen«, pflichtete Giovanni ihm bei. »Deshalb wollen wir Ihnen …«
»An Ihrer Stelle würde ich einen Prozeß anstrengen«, unterbrach ihn Blondel.
»Ach, wirklich?«
Blondel nickte mit Nachdruck. »Selbstverständlich.
Schließlich darf man es sich nicht bieten lassen, wenn jemand mit vertraglich festgelegten Vereinba-rungen einfach nach Lust und Laune Schindluder treibt. Ich ginge sofort vor den Kadi und würde für mein Recht kämpfen.«
»Mhm …«
»Und einen besseren Zeitpunkt dazu als jetzt gibt es gar nicht«, fuhr Blondel fort. Dann stand er auf und nahm von der Wand ein Schwert und einen Schild herunter. »Denn zufälligerweise unterliegt diese Burg der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der Baronie de Nesle« – er prüfte die Schwert-spitze, fluchte leise und leckte sich am Zeigefinger –,
»von dem ich aufgrund der Erbreihenfolge der Vorsitzende bin. Normalerweise sind wir mit etlichen Prozessen im Rückstand, doch ausgerechnet heute können wir Ihre Verhandlung ohne Probleme ein-schieben. Natürlich wird das Verfahren durch einen Zweikampf entschieden.«
»Durch einen Zweikampf?«
»Richtig. Früher haben wir es auch auf die andere Weise versucht, sind aber immer wieder auf das 284
Zweikampfverfahren zurückgekommen. Das ist schneller, billiger und vor allem fairer; gar nicht davon zu reden, daß es bei den Teilnehmern, zumindest auf lange Sicht, sehr viel weniger Wunden hinterläßt.
Möchten Sie, daß ich Ihnen einen Schild leihe? Sie scheinen zufällig keinen dabeizuhaben.«
»Vielleicht sollten wir lieber zu einer außerge-richtlichen Vereinbarung gelangen«, schlug Giovanni rasch vor. »Manchmal halte ich einen Rechtsstreit für äußerst unsinnig. Sie nicht?«
»Ich weiß nicht recht«, antwortete Blondel und suchte sich aus einem Gestell eine Doppelaxt heraus.
»Vielleicht liegt das daran, daß Sie noch nie in den Genuß der De Nesle-Rechtsprechung gekommen sind. Nein, ich finde, mit einem fairen Zweikampf bringt man so eine unangenehme Geschichte in wenigen Sekunden hinter sich.« Er wägte zwei Streit-kolben ab, entschied sich für den schwereren und hängte den leichteren zurück. »Man muß sich einfach nicht so furchtbar lange den Kopf zerbrechen – wenn Sie den Ausdruck entschuldigen wollen. Hier, fangen Sie!« Blondel warf Giovanni einen Helm zu, der ihn zunächst scheppernd fallen ließ. »Nun machen Sie schon«, forderte er Giovanni auf und fuhr mit dem Zeigefinger vorsichtig über die Schneide der Axt.
»Helme sind nun mal vorgeschrieben.
Ich kann durchaus verstehen, daß Sie etwas nervös sind, zumal Mister Goodlet im selben Raum ist, aber Sie müssen ihn schon aufsetzen. Sollen wir nur so lange spielen, bis eine Partei dreimal gewonnen hat, 285
oder wollen Sie lieber bis zur endgültigen Entscheidung kämpfen?«
Giovanni gab ein leises Wimmern von sich und blickte sich hilfesuchend nach seinen Brüdern um.
Die beiden waren nicht da – oder besser: Sie ver-steckten sich direkt hinter seinem Rücken.
»Alternativ dazu«, fuhr Blondel fort, wobei er seinen Helm absetzte und die Doppelaxt auf einen Bei-stelltisch legte, »könnten wir naturlich auch den Vertrag vergessen. Ich meine, schließlich vertrauen wir uns doch alle gegenseitig, nicht wahr? Nicken Sie einfach, wenn Sie einverstanden sind.«
Die Galeazzo-Brüder nickten in schönster Ein-tracht wie ein Miniatur-Zerberus im Rückfenster eines Opel Kadett.
»Freut mich, daß wir einer Meinung sind. Haben Sie den Vertrag zufällig dabei?«
Marco zog sich vorsichtig aus Giovannis Fußreichweite zurück und sagte »Ja«. Weiterhin erzählte
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