Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
einen weiteren Schritt auf den Wagen zu. Er kam Richard wie ein Streifenpolizist vor, der sich anschickte, eine Verkehrskontrolle mit Atemalkoholtest durchzuführen.
»Können Sie überhaupt noch fahren?«
»Zerbrich dir meinetwegen nicht den Kopf!«, sagte Richard.
»Ich möchte nicht, dass Mickey etwas zustößt.«
»Ich sagte bereits – zerbrich dir meinetwegen nicht den Kopf.« Und sich auf seinen messerscharfen Verstand verlassend, der ihn im Leben weit gebracht hatte, fügte Richard von oben herab hinzu: »Mach dich vom Acker, Freundchen, und such dir eine schöne große Welle. Okay?«
Shane musterte Richard eindringlich. Er zuckte weder zusammen noch spielte er den Beleidigten. Er kniff nur die Augen zusammen; Mickey war bereits im Wagen, deshalb konnte sie ihn nicht hören, als er erwiderte: »Sollte Mickey etwas passieren, kriegen Sie es mit mir zu tun.«
Richard antwortete nicht. Er stieg in den Wagen, den Blick auf Shane gerichtet, versuchte sich abgebrühter zu geben als er war, machte keinen Hehl daraus, dass er auf seine Schlagfertigkeit stolz war. Warum sollte er auch nicht stolz darauf sein, es dem Highschool-Freund seiner Tochter gezeigt zu haben? Großer Gott, so weit war es schon mit ihm gekommen.
Er ließ den Motor an und fuhr langsam an. Shane stand auf dem Gehweg, sah ihnen nach, als sie den Parkplatz verließen. Richard versuchte, den Blick des Jungen zu verdrängen, in dem sich ein Anflug von Panik und Verachtung gespiegelt hatten; was zählte, war allein, dass Mickey bei ihm war, mit den Fingern ihrer eingegipsten Hand nach seiner Hand griff, in sein vom Alkohol verwüstetes Gesicht blickte und sich die Augen aus dem Kopf weinte.
22
M ickey konnte kaum glauben, dass ihr Vater tatsächlich bei ihr war. Es kam ihr vor, als wären all ihre Träume wahr geworden. Dieser eine wundervolle Moment schien alles aufzuwiegen: Die Nächte, in denen sie sich um ihn gesorgt hatte, die zahlreichen Nachrichten mit der Bitte um Rückruf, die Gerichtsunterlagen auf dem Esszimmertisch.
»Dad, ich dachte, du wärst in Arizona.«
»War ich auch, Kleines. Aber ich musste zurück, um …« Er hielt inne, schluckte. »Um in Rhode Island einen Abschluss unter Dach und Fach zu bringen.«
»Immobilien?«
»Ja.«
»Weißt du …« Mickey traute sich kaum, ihn zu fragen. »Weißt du, dass die Polizei dich sucht?«
»Kleines, das ist ein Missverständnis. Bei Gericht ging so viel durcheinander, dort hat es eine Panne gegeben – weißt du? Ich hatte das Datum für den Termin nicht mehr im Kopf. Das passiert, wenn man so viel um die Ohren hat wie ich.«
»Wie in Arizona?« Mickey wollte ihm unbedingt glauben.
»Mmm, ja. Genau.«
Seine Zähne schienen zu klappern, aber es war nicht kalt. Sie nahm den vertrauten Geruch von Zigaretten und Alkohol wahr. Sie war mit diesem Geruch aufgewachsen; er weckte Sehnsucht in ihr, obwohl sie nicht gewusst hätte, wonach. Er erinnerte sie daran, wie sich ihre Eltern stritten, wenn ihr Vater mitten in der Nacht nach Hause kam; wie sie gehofft hatte, dass sie sich versöhnten und er es »endlich auf die Reihe bekam«, aufhörte, jeden Abend auszugehen. Sie musterte ihn verstohlen – er wirkte abgemagert und hohlwangig, seine Haut war fahl.
»Alles in Ordnung, Dad?«
Er gluckste, jedoch ohne eine Miene zu verziehen. »Die Frage hat mir dein Freund Shane schon gestellt.«
Verblüfft sah sie ihn an. Woher wusste er, wer Shane war? »Ich habe euch gar nicht miteinander bekannt gemacht. Woher …«
»Du hast mir in deiner Nachricht von einem wunderbaren Jungen vorgeschwärmt. Wenn du ihn wunderbar findest, muss er dich mögen und respektieren. Und dieser junge Mann, den ich vor der Schule getroffen habe – das war doch Shane, oder?«
»Ja.«
Ihr Vater bog von der Schulstraße rechts ab auf die Route 1; dann fuhr er den Strandweg entlang in Richtung Refuge Beach. Mickey war überrascht; sie hatte nicht erwartet, dass er mit ihr an den Ort wollte, den sie sonst immer mit ihrer Mutter besuchte. Ihr Vater ging mit ihr normalerweise ins Einkaufszentrum oder in ein Restaurant – wo »was los ist«, wie er es auszudrücken pflegte. Und wo er einen Drink bekam.
»Wir fahren an den Strand?«, fragte sie verwirrt.
»Ja. Du bist doch gerne dort, oder? Vögel, die Natur, das ganze Drum und Dran. Wie war das gleich wieder mit dieser Schneeeule?«
»Wir haben dort eine gesichtet!« Sie dachte an die Aufregung zurück, mit eigenen Augen einen so seltenen Vogel zu sehen,
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