Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Verzweiflung um. Er fing an, darüber zu klagen, wie sehr ihm sein Vater fehle. Und er ließ sich des Langen und Breiten über die verpassten Gelegenheiten in seinem Leben aus – das vorzeitig abgebrochene College, der Verzicht auf die juristische Laufbahn, die Chancen, die sich anderen geboten hatten.
Als sie mit Mickey schwanger war, war der Spaß längst zu Ende und die Verzweiflung Teil seines Lebens geworden. Richard saß auf dem Sofa vor dem Fernseher und trank bis zum Umfallen, so dass sie ihn mit einer Decke zudecken und alleine zu Bett gehen musste. Oder er kam gar nicht nach Hause – blieb die ganze Nacht weg und tauchte erst am Morgen wieder auf, schwankend, mit umnebelten Augen und meilenweit nach Scotch riechend, um ihr zu versichern, es sei ›nichts passiert‹, obwohl an seinem Hemd das Parfum einer anderen Frau haftete.
Die Zeit, die eigentlich die glücklichste im Leben eines Paares sein sollte, die bevorstehende Geburt ihres ersten Kindes, hatte sich in einen Alptraum verwandelt. Eines Nachts, als sie weinend im Bett lag, war Richard hereingekommen, neben ihr auf die Knie gesunken und hatte ihre Hand ergriffen.
»Es tut mir leid«, hatte er gesagt und war ebenfalls in Tränen ausgebrochen.
»Was ist los mit dir? Warum tust du mir das an? Liebst du mich nicht mehr? Freust du dich nicht über das Baby?«
»Ich habe Angst«, hatte er geflüstert. Sie konnte sich noch genau an seine bedrückte Stimme und seinen gequälten Blick erinnern.
»Angst? Wovor?«
»Dass ich es vermassle. Dass ich nicht in der Lage bin, für euch beide zu sorgen – dass ich ein schlechter Vater sein könnte.«
»Unsinn, du wirst ein wundervoller Vater sein.« Sie dachte an seine unglaubliche Lebenslust, seine Spontaneität; genau diese Eigenschaften wünschte sie sich für ihr Kind, und sie wünschte sich, dass alles wieder so werden möge wie früher.
»Woher willst du das wissen?« Er sah sie forschend an.
»Weil du ein guter Mensch bist.« Sie erwiderte seinen Blick, fest und mit aller Liebe, die sie in sich verspürte; sie war in ihrem tiefsten Inneren überzeugt, dass es der Wahrheit entsprach und sie nur aneinander glauben mussten, damit alles wieder gut würde. »Und weil du ein gutes Herz hast«, fügte sie hinzu.
»Mein Vater ist viel zu früh gestorben. Mir fehlt ein Vorbild.«
»Dann musst du dir selbst ein Vorbild sein. Unsere Tochter ist unterwegs, Richard – sie braucht ihren Vater.«
»Ich weiß. Ich werde versuchen, ihr ein guter Vater zu sein. Ich schwöre es, Neve. Ich werde mir die größte Mühe geben.«
Und er hatte sich an sein Versprechen gehalten. Er hatte noch in derselben Nacht mit dem Trinken aufgehört und keinen einzigen Tropfen mehr angerührt. Kein Bier, wenn er sich ein Baseballspiel anschaute, keinen Wein zum Abendessen, nichts … Bis vor acht Jahren. An seinem 38. Geburtstag war er rückfällig geworden. Als sei er außerstande, die Lebensmitte, das näher rückende vierte Jahrzehnt zu verkraften. Es hatte damit begonnen, dass er sich vor dem Essen einen kleinen Cocktail genehmigte – »Zur Entspannung«, wie er sagte.
Angespannt hatte er sich vermutlich auch in ihrer und Mickeys Gegenwart gefühlt, denn bald ließ er sich kaum noch zu Hause blicken. Und falls doch, dann nur, wenn ihm der Sinn danach stand. Mickeys Hausaufgaben, Fußballspiele und Geburtstage schienen ihn nicht mehr zu interessieren; der Reiz der Bars und des geselligen Lebens außerhalb seiner Familie nahm überhand.
Schließlich hatte Neve ihn vor die Tür gesetzt, und er war in eine Eigentumswohnung gezogen, mit Alyssa – er hatte sie nach ihrer Scheidung kennengelernt, als sie ein Haus suchte. Mickey besuchte ihn an den Wochenenden und berichtete, dass er nicht mehr trank. Er trieb Sport; Alyssa und er gingen jeden Morgen Joggen, und sie hatte ihn für Yoga begeistern können. Er achtete auf eine gesunde Ernährung. Er begann, Mickey wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dass Richard ein besserer Vater war, seit er mit einer anderen Frau zusammenlebte, hatte Neve verletzt, aber sie hatte sich Mickey gegenüber nichts anmerken lassen.
Doch nun erwartete Alyssa ein Kind, und Richard war in seine alten Gewohnheiten zurückgefallen; das Muster wiederholte sich. Er trank, wenn er sich gestresst fühlte, wenn die Anstrengungen und Überraschungen des Alltags zu viel für ihn wurden.
»Richard, ich weiß nicht, wo du steckst, aber komm her«, beschwor Neve ihn nun. »Wir werden eine Lösung
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