Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
wie Sie ihn zu nennen belieben, zu tun und zu lassen habe. Er ist mein Ex-Ehemann, Mr. O’Casey, und er lässt meine Tochter einfach im Stich. Sie hat ihn zigmal angerufen, um ihm zu sagen, dass sie sich das Handgelenk gebrochen hat, aber er hält es offenbar nicht für nötig, sie zurückzurufen. Alles klar? Haben wir uns jetzt verstanden?« Ihre Augen funkelten, blickten ihn unverwandt an. »Ich habe keine Ahnung, warum Sie zu wissen glauben, wie ich mich verhalten sollte, und ich habe keine Ahnung, ob alle geschiedenen Männer so zusammenhalten, aber eines sage ich Ihnen – lassen Sie mich in Ruhe. Lassen Sie uns in Ruhe.«
Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
Tim O’Casey stand lange auf den Treppenstufen und starrte sein Spiegelbild in dem kleinen Fenster an. Er sah einen alten Mann vor sich – mit zerfurchtem Gesicht und grauen Haaren. Doch als er das überschattete Spiegelbild eingehender betrachtete, erkannte er Frank darin. Sein Sohn stand vor ihm, blickte ihn mit kalten, abschätzenden Augen an.
Tim berührte das Glas. Er stand regungslos da, während die Kälte in seine Fingerspitzen kroch, direkt bis ins Mark. Der Vorhang bewegte sich, als hätte Neve Halloran nachgeschaut, ob er immer noch da war. Für den Fall, dass sie ihn beobachtete, nickte er – voller Bedauern und um Entschuldigung bittend –, bevor er sich umdrehte und ging.
4
A ls Neve die Dominic-di-Tibor-Galerie betrat, kochte sie immer noch vor Wut über Tim O’Caseys unverschämte Bemerkung. Sie versuchte, sich zu beruhigen und auf die Arbeit zu konzentrieren, die sich in den letzten Tagen angehäuft hatte. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich Dias, die ihr von Künstlern in der Hoffnung geschickt worden waren, für die große Sommerausstellung der Galerie in Betracht gezogen zu werden. Außerdem befanden sich jede Menge Nachrichten von Sammlern und Malern auf ihrem Anrufbeantworter, die sie dringend zurückrufen musste.
Die Galerie befand sich in einem erstklassig restaurierten Bootshaus in der Front Street, mit Ausblick auf den geschützten Hafen. Sie hatte sich auf zeitgenössische amerikanische Kunst und Malerei aus dem neunzehnten Jahrhundert mit dem Schwerpunkt Meeresflora, Fauna und Wildtiere spezialisiert. Neve war für die Recherche zuständig, vor allem in Zusammenhang mit alten Gemälden von namhaften Vogelmalern aus den letzten beiden Jahrhunderten.
Der Besitzer der Galerie, Dominic di Tibor, war sehr wohlhabend und nicht knauserig, was die Ausstattung der Räume betraf – automatische Temperaturüberwachung, aufwendige Sicherheitsanlagen, riesige Thermopanescheiben, auf Hochglanz polierte Böden aus Weymouthskiefer –, doch Neves Position war nicht besonders hoch dotiert. Sie liebte ihre Arbeit und schätzte sich glücklich, eine interessante Tätigkeit zu haben, doch unter dem Strich lief es immer wieder auf das leidige Geld hinaus.
Als sie am Schreibtisch saß, spürte sie, wie die Wut abermals in ihr hochkochte. Wie konnte Tim O’Casey sich erdreisten, ihr Ratschläge zu erteilen? Glaubte er, dass ihr die Gerichtsverhandlungen Spaß machten? Er hatte offenbar keine Ahnung von den Herausforderungen, die sie in ihrem Leben bewältigen musste. Sie hatte Richard in der festen Überzeugung geheiratet, für immer mit ihm zusammenzubleiben. Sie hatte sich in ihn verliebt … obwohl er sich an einem Tiefpunkt seines Lebens befand. Während er eine Laufbahn als Immobilienmakler einschlug und seine eigene Firma aufbaute, hatte sie Kunstgeschichte studiert. Ihr Traum war, Restauratorin zu werden – mit viel Einfühlungsvermögen an alten Gemälden und anderen Kunstwerken die Schäden auszubessern, die Zeit, Witterung und bisweilen rohe Gewalt angerichtet hatten.
Ihr Fachgebiet waren Gemälde von Wildtieren. Mit der Liebe zu Vögeln aufgewachsen, hatte sie ihre große Leidenschaft auf die Werke berühmter Vogelmaler wie James Audubon oder Louis Agassiz Fuertes übertragen, die sie faszinierten. Als Kind hatte sie ihre Mutter nach Manhattan begleiten dürfen, um sich die Audubon-Drucke in der New York Historical Society anzusehen. Sie hatte an der Cornell studiert, zum einen wegen der dortigen Sammlung von Fuertes-Drucken und zum anderen wegen des berühmten Ornithologie-Labors, über das die Universität verfügte.
Und nun saß sie in einer Galerie, hatte ihren Traum, Leben und Werk namhafter Vogelmaler zu recherchieren, für einen Hungerlohn verwirklicht und sah sich gezwungen, mit ihrem Ex-Ehemann vor
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