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Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Titel: Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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warum mochten sie sich entfremdet haben?
    »Graugans«, sagte Neve. »Ist das sein Spitzname?«
    »So wurde er von dem Verfasser des Artikels genannt.«
    »Was hat er nach dem Ausscheiden aus der US-Navy gemacht, wie ist er zum Eremiten geworden?«
    »Muss wohl verbittert oder von der Welt enttäuscht gewesen sein«, sagte Chris. »Möglich, dass der Grund im Bericht erwähnt wurde, aber ich erinnere mich nicht mehr.«
    »Warum wurde Tim in dem Artikel erwähnt?«
    »Oh, beide machen gegen Cole Landry Front. Sie sind absolut dagegen, das U-Boot zu bergen, aber aus unterschiedlichen Gründen. Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein.« Chris nahm die Kanne und schenkte sich Tee nach. »Tim ging es um den Lebensraum der Fische rund um das Wrack, und dass es als natürlicher Wellenbrecher dient, dafür sorgt, dass der Strand in seiner jetzigen Form erhalten bleibt und verhindert, dass bei Sturm immer mehr Sand abgetragen wird.«
    »Und sein Vater?«
    Chris schüttelte den Kopf. »Er hat nicht viel gesagt und niemandem gestattet, ihn zu fotografieren. Ich denke, er ist stolz auf seine Ruhmestaten in der Navy und möchte nicht, dass jemand die Totenruhe stört. Das kann ich gut verstehen! … Ich erinnere mich an unsere Hochzeitsreise; Jeff und ich waren in Frankreich, in der Normandie; wir haben auch den Omaha Beach besichtigt, wo die Alliierten gelandet sind … man spürt die Geister der Toten noch heute. Jeffs Vater war einer der Soldaten, die dort am D-Day gekämpft und irgendwie überlebt haben. Als ich Jeff ansah, liefen ihm die Tränen übers Gesicht. Er weinte wie ein Kind, weil sein Vater so viel durchmachen musste! Schlachtfelder sind gewissermaßen geheiligter Boden.«
    Neve nickte. Ihre Gedanken kehrten zu Berkeley zurück. Viele seiner französischen Gemälde zeigten die Küstenvögel der Normandie; war er von den Deutschen gefangen genommen worden oder schon bei den massiven Luftangriffen der Alliierten vor dem D-Day ums Leben gekommen?
    Ihr Blick kehrte zu den Fotos von der Schneeeule zurück, die friedlich neben dem Haufen von Treibholz hockte. Meilenweit erstreckte sich weißer Sand entlang der Küste, unterbrochen durch kleine Buchten und Meerengen des Refuge Breachway – des Gezeitenstroms, der von den Salzmarschen direkt ins Meer führte.
    Neve dachte an die vielen Strandwanderungen, die Mickey und sie unternommen hatten, um Muscheln und das von den Wellen kunstvoll glatt geschliffene Meerglas zu sammeln; sie dachte daran, wie sich ihre bloßen Füße im Sand und im seichten Wasser angefühlt hatten, und wie diese Spaziergänge sie von ihrem Kummer der Scheidung geheilt hatten.
    Dieser Strand entsprach ganz und gar nicht ihrer Vorstellung von einem Schlachtfeld. Aber sie dachte an Tims harsche Worte in der Klinik und das düstere Feuer in seinen Augen; und sie stellte sich einen alten Mann namens Graugans vor, der zurückgezogen in den Wäldern lebte, seinem Sohn entfremdet.
    Dem Mann, der in seine Fußstapfen getreten war …

    »Was sagst du deiner Mutter?«, fragte Jenna im Bus, über die Rückenlehne von Mickeys Sitz gebeugt.
    »Keine Ahnung«, murmelte Mickey, die noch nicht darüber nachdenken wollte.
    »Denk dir was aus. Sie wird dich nicht gehen lassen, wenn
sie weiß, dass es sich um eine Party handelt. Sie ist ziemlich streng. «
    »Stimmt«, meinte Tripp. »Wann ist bei dir Zapfenstreich? Punkt zehn?«
    »Ich darf länger wegbleiben.«
    Jenna kicherte und schmiegte sich wieder an Tripp. Er legte den Arm um sie und die beiden küssten sich; Mickey hörte das saugende Geräusch ihrer Lippen und wäre am liebsten im erstbesten Mauseloch verschwunden. Seit wann gehörte Jenna zu diesen dummen Puten, die anderen ständig etwas beweisen mussten? Sogar auf dem Heimweg im Schulbus.
    Die Fahrt zog sich endlos hin. Alle nasenlang hielt der Bus, und irgendjemand packte seine Siebensachen zusammen, zog den Reißverschluss der Jacke hoch und bahnte sich den Weg durch den Gang; manchmal stiegen auch mehrere Schüler gleichzeitig aus.
    Draußen war es noch hell. Ende Februar wurden die Tage zunehmend länger. Trotzdem war die Luft noch eisig. Jeden Augenblick konnte es wieder schneien. Die Wolken waren bleischwer und Mickey war sicher, dass ein Schneesturm bevorstand. Die Bäume streckten ihre kahlen Äste wie die Zinken einer Harke zum Himmel, ein Baldachin miteinander verwobener Zweige über der Landstraße, die sich dahinschlängelte. Im Licht des Spätnachmittags hatten die Spitzen der Zweige eine

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