Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
erst gezündet werden mussten. Die Stifte der Anschlagszünder glichen den Stacheln eines Stachelschweins, daher der Name Hedgehog.«
Neve nickte.
Tim musterte sie verstohlen. Sie blickte aufs Wasser hinaus, schien für den Rest der Geschichte gerüstet zu sein. »So ein Unsinn«, fuhr er fort. »Namen wie ›Huff-Duff‹ und ›Hedgehog‹ verharmlosen alles.«
Sie antwortete nicht, beobachtete die Brandung und sah auf die Stelle, an der sich die Wellen brachen.
»Wie auch immer, nach drei Angriffswellen verlor die Cubzac ihr Zielobjekt aus den Augen. Eine Stunde später ortete mein Vater das U-Boot erneut – direkt hier. Die Zerstörer hatten ihre großräumige Suche fortgesetzt, und mein Vater konnte den Sonarkontakt wiederherstellen.«
»Genau hier?«
»Ja. Vermutlich war es bis auf den Meeresgrund getaucht und verhielt sich lautlos, um unentdeckt zu bleiben. Das Schiff meines Vaters kam dicht an der Stelle vorbei, und der U-Boot-Kommandant dachte vermutlich, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis man sie fand. U-823 tauchte auf und feuerte aus seinen Geschützen zehn Salven Dreieinhalb-Kaliber-Munition auf die James ab.«
»Gab es Verletzte?«
»Mein Vater verlor zwei Mitglieder seiner Besatzung. Sie starben hier, vor Refuge Beach. Danach gab es für U-823 kein Pardon mehr.«
»Ihr Vater hat das Feuer erwidert?«
»Ja, bis es abermals auf Tauchstation ging. Mein Vater befahl, aus allen Rohren Unterwasserbomben abzufeuern, in einem Kreis rund um die Luftblasen, die aufstiegen. Es dauerte nicht lange, bis sich eine Öllache auf der Wasseroberfläche ausbreitete, gefolgt von zerfetzten Seekarten und Holzteilen. Zum Schluss tauchte die Mütze eines deutschen Offiziers auf. Mein Vater und seine Männer setzten den Beschuss fort, die ganze Nacht, bis zum Morgengrauen. Taucher bestätigten den Abschuss.«
Neve schwieg und Tim verstummte ebenfalls. Er blickte auf das offene Meer hinaus, wo so viele Männer ihr Leben verloren hatten.
»Es schneite. Mein Vater stand auf der Brücke und sah zum Strand hinüber, der weiß vor Schnee war. Und das im Frühling, im April. Und Schwäne waren da. Zu Hunderten. Rückten schutzsuchend im Flachwasser am Strand zusammen und warteten darauf, dass es zu schneien aufhörte.«
»Das hat Frank Ihnen erzählt?«
Tim nickte. Er erinnerte sich daran, wie sein Sohn den Augenblick des Triumphs geschildert hatte: mit glänzenden Augen, die Finger zu Hilfe nehmend, als er die Anzahl der Unterwasserbomben zählte, die abgefeuert worden waren. Frank war stolz auf seinen Großvater gewesen – genau wie Tim. Als Kind des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen, hatte es Momente gegeben, in denen er aufrichtig überzeugt gewesen war, sein Vater habe die Welt vor dem Untergang gerettet.
»Ihr Vater hat die Schwäne wahrgenommen, in einer solchen Situation«, sagte Neve leise.
»Genau wie Frank im Irak.« Tim starrte die Kormorane an.
»Haben Sie …«
»In Vietnam?«, fragte er. Aber er musste ihr die Antwort schuldig bleiben. Mit einem Mal schnürte es ihm die Kehle zu. Er konnte ihr nicht von den Sümpfen erzählen, der trügerischen Idylle, dem Wasser und der unendlichen grünen Vegetation, angefüllt mit mehr Reihern und Silberreihern, als
er je zuvor gesehen hatte. Es war grauenvoll gewesen, schizophren, ein Alptraum, Vögel zu beobachten, während ringsum Menschen starben. Doch der Gedanke, dass Frank das Gleiche getan hatte, war tröstlich und auf seltsame Weise schön …
Neve schien ihn zu verstehen. Sie verzichtete darauf, ihre Frage zu beenden oder zu wiederholen. Sie saß schweigend neben ihm auf dem Treibholz, hielt mit ihm zusammen die weiße Feder. Er war überzeugt davon gewesen, dass sie von der Schneeeule stammte, aber plötzlich kamen ihm Zweifel. Vielleicht hatte sie schon ewig hier gelegen, stammte von den Schwänen, die an dem verschneiten Frühlingstag von 1944 in der Bucht Zuflucht gesucht hatten.
»Sie sagten, Sie mögen Worte wie ›Huff-Duff‹ und ›Hedgehogs‹ nicht«, meinte Neve leise.
»Richtig. Sie sind trügerisch.«
»Ja, sie kaschieren die Grausamkeit des Krieges.«
»Genau.« Ihre Blicke trafen sich.
»Das Gleiche sagte Ihr Vater über Spitznamen, die aus dem Krieg stammen. Graugans, Silberhai …«
»Das nehme ich ihm nicht ab. Sein Bruder und er haben sich diese Spitznamen freiwillig gegeben. Sie gefielen ihm. Ich bin sicher, für Frank hatte er auch einen.« Tim stand vom Treibholz auf, wich zurück und sah Neve aus
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