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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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und fetten Abstrichen an den Anfang gemalt. Darauf folgt eine Liste von Geboten, die wir uns selber gaben und die wir nicht halten konnten, weil wir nicht mit der Hartnäckigkeit unserer Sehnsüchte und Leidenschaften gerechnet hatten, mit unseren Grausamkeiten, unseren Ängsten und unserem Egoismus. Es hätte der Selbstlosigkeit zweier Heiliger bedurft oder zweier Menschen, die nur einen Blick
zur Verständigung benötigten, die jede Nuance der Stimme und des Gesichtsausdrucks des anderen deuten konnten, und die einander so gut kannten, daß jeder des anderen Sätze vollenden konnte. Zu unserem eigenen Erstaunen waren wir am Ende zu einem solchen Paar geworden. Aber dazu hatten wir ein ganzes Leben gebraucht.
    Wir würden Einander nie belügen, gelobten wir vor fünfunddreißig Jahren, aber auch die Wahrhaftigkeit nicht benützen, um einander weh zu tun. Wir würden einander beschmutzen und mit Rat und Hilfe unterstützten, ohne Abhängigkeiten zuzulassen. Wir würden alles teilen, aber unser Recht auf Eigenständigkeit bewahren. So präzis und klar, so paradox hatten wir es uns ausgedacht. So beispielhaft wollten wir leben, jeder dem andern der nächste Mensch, ohne ihn daran zu hindern, eigene Wege zu entdecken und ihnen zu folgen . Ein Leben lang verbunden, manchmal näher, mitunter so nah, als befänden wir uns in der Haut des andern, dann wieder fern, immer in Rufweite. Der andere sollte der Mensch sein, dem wir uns verwandt fühlten, einerlei, wo er sich befand und welches Leben er gerade führte, er sollte der Ort sein, den wir Zuhause nannten. Vater und Mutter verlassen, um einander anzuhangen, steht in der Tora, jedoch nur so lange, wie es dem anderen erträglich ist, gebot die Zeit, in der wir jung gewesen waren. Wir müssen uns mit diesem Manifest wie Revolutionäre gefühlt haben. Hat es uns an Vertrauen oder an Leidenschaft gemangelt? Wovor hatten wir so große Angst? Ich weiß es nicht mehr.
    Jetzt in der Dunkelheit der Nacht kann ich unser Leben auf keinen Nenner bringen, ich weiß nicht, wie wir es hätten vermeiden können, einander zu verletzen. Wir hatten nur ein Leben, es war zu kurz für alles, was wir von ihm erwarteten. Also mußten wir auseinanderrücken, damit das, was wir
brauchten, darin Platz fand: seine Frauen und meine Bücher, sein Beruf, der Seßhaftigkeit verlangte, und meiner, der Abwesenheiten mit sich brachte, seine Sehnsucht nach dem vollkommenen Glück und meine Rastlosigkeit. Die Vorstellung, wie viele Möglichkeiten uns offenstünden, wie viele Chancen und Glücksversprechen, und das Wissen, daß wir dafür nur dieses eine Leben hatten, erfüllte uns oft genug mit Gier und Verzweiflung. Wenn ich zwei Leben gehabt hätte, dann hätte ich ihm eines davon ohne Vorbehalte geschenkt, ganz und gar, so wie er es sich trotz der vergessenen Freiheitsschwüre vorgestellt hatte. Das andere, das zweite wäre für mich gewesen. Aber ich hatte nur eines, er mußte teilen, mehr von mir herzugeben war mir nicht möglich, und meine Freiheit war eine andere als die seine.
    In dieser finsteren, vom Tod gesättigten Nacht kann ich unser einzigartiges, aus jeder Norm gefallenes, mir selber unverständliches Leben nur in ein paar vollkommenen Augenblicken wiedererkennen, die vergingen, ohne daß wir bemerkten, wie glücklich wir waren, und in Sehnsüchten, die am Ende unerfüllt zurückbleiben. Eine neue Form der Ehe wollten wir führen, anders als unsere Eltern, anders als die Dramen von Liebe und Leidenschaft, die wir rundum bei unseren Freunden als Tragödien enden sahen. Einander verpflichtet und zugleich frei. Freiheit war für keinen von uns verhandelbar, aber wir durchschauten nicht, daß wir damit unsere Interessen sichern wollten und jeder nur an seine eigene Freiheit dachte. Und trotz des Spielraums, den wir uns ertrotzten, blieben mit zunehmendem Alter immer weniger Wege offen, für ihn und auch für mich. Hätte uns damals einer gesagt, ihr habt fünf unddreißig Jahre, wäre uns das wie eine Ewigkeit erschienen. Aber es war zu kurz, wir brauchten so lange, um einander zu
verstehen, wir waren zum Schluß erst am Anfang, und auch die Liebe hatte gerade erst eine neue Gestalt angenommen.

    Wir sehen uns an, umarmen uns flüchtig, zu sprachlos und verstört, um die Beklemmung abzuschütteln, Ilana, Harold, Emily und Leslie, Jeromes bester Freund, jedenfalls behauptet er seit dem Augenblick, als er die Familie benachrichtigte, sein bester Freund gewesen zu sein und mißt dieser Tatsache

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