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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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der Situation heraus so komisch waren, wer würde mit mir lachen über den Augenblick, als er ein beleibtes, stets fröhliches Ehepaar aus unserem Bekanntenkreis the tons of fun nannte, nach dem Titel einer beliebten Fernsehshow, wer sich an Sätzen aus Ilanas Kindheit ergötzen oder sich an Mrs. Fatzfeather, die in Wirklichkeit Heather Williams hieß und Antiquitäten verkaufte, und Miss Twinkletoe, die Wirtstochter an einem See im Salzkammergut erinnern? Was für eine schreckliche Verarmung der Wirklichkeit, wenn niemand mehr sie mit seinen Augen sieht und mit seinen Wortspielen umwirbt.
    Was ich nie lernte, war die etwas prüde Umgangssprache der Mittelschicht, das vorsichtige Understatement und die betulichen Umschreibungen, mit denen sie sich selber schonten,
besonders in der Konfrontation mit etwas so Skandalösem wie dem Tod. Wir hatten in den letzten Jahren nicht mehr viele gemeinsame Freunde gehabt. Die meisten unserer früheren Bekannten waren Menschen gewesen, mit denen wir Erfahrungen geteilt hatten, Kinder gleichen Alters, Mitgliedschaften in Vereinen und Interessensgruppen, und wenn unsere Wege im Lauf der Zeit auseinandergingen, verloren wir einander aus den Augen. Ich brauchte keine Gesellschaft außer Jerome und Ilana. Es gab ohnehin immer zu wenig Gegenwart, und wir beide lebten in einer anderen Welt als die meisten Menschen unserer Umgebung, an einem dritten Ort, den ich nicht mit Fremden teilen wollte. Ich dachte nicht daran, daß auch ich für sie eine Fremde bleiben würde, wenn es Jerome nicht mehr gäbe. Manchmal hatte ich die Kellnerin beneidet, die im New Yorker, unserem Lieblingsrestaurant, servierte, eine resolute junge Frau, die uns erzählte, ihr Verlobter sei Leuchtturmwächter und im Winter nach einem Schneesturm seien sie völlig von der Welt abgeschnitten, durch tiefe Schneeverwehungen vom Landweg her und vor ihnen die meterhohe Gischt der stürmischen See.
    Leslie steht im Kreis seiner Zuhörer und erzählt, wie die Klientin, mit der Jerome in Downtown Boston einen Termin hatte, in der Kanzlei anrief, er sei zusammengebrochen und mit dem Rettungswagen ins Spital gebracht worden, wie er, Leslie, sofort hinfuhr. Ihr müßt wissen, betont er, er hatte ja nicht viele Freunde, die meisten nahmen Anstoß an ihm, wie soll ich sagen, er war kontrovers, er war sehr direkt, sehr unverblümt, und viele fanden seine Witze despektierlich. Er war im Grund ein Stein des Anstoßes für viele. Wir verloren nicht wenige Klienten wegen seiner unkonventionellen Art, mit ihnen umzugehen, aber ich hielt zu ihm, immer, durch Dick und
Dünn oder auf Biegen und Brechen, wie man so schön sagt. Ich jedenfalls war sofort zu Stelle, als die Klientin am Telefon war, ich wußte, was zu tun war, und rief seine Angehörigen an, das war nicht leicht, wer überbringt schon gern schlechte Nachrichten, im alten Hellas wurde der Bote bekanntlich hingerichtet, er kichert, aber ich tat es für ihn, das war ich ihm schuldig.
    Leslie steht in meinem Wohnzimmer, als stünde er auf einer Tribüne, im Zentrum der Aufmerksamkeit und deklamiert seinen Monolog, er bläht sich auf und kräht vor Wichtigkeit. Ich wünschte, Jerome könnte ihn so sehen, ihm fiele sicher eine treffende Bemerkung dazu ein.
    Warum ignorieren sie mich, bin ich etwa nicht seine Ehefrau? Wir gingen selten miteinander zu Empfängen oder Veranstaltungen, aber sie kannten mich vom Sehen, und es war klar, daß ich nicht bloß seine Freundin war. Wir haben eine erwachsene Tochter. Warum kommt keiner zu mir und sagt: Mein Beileid? Ihr steht in meinem Haus, möchte ich rufen, nehmt mich wahr, bringt mich nicht um das Recht zu trauern!
    Warum tun die Leute hier so, als ob ich Luft wäre? frage ich meinen Schwager.
    Wach auf, du bist nicht seine Witwe, sagt er, und in seiner Stimme höre ich Spott und eine Spur Ärger. Ihr seid seit fünf zehn Jahren geschieden. Die Leute sind diskret, aber sie wissen nicht, was sie von dir halten sollen, du bist weder Fisch noch Fleisch. Du darfst ihr Vorstellungsvermögen nicht überstrapazieren.
    Wir sind seit fünfunddreißig Jahren zusammen, sage ich gekränkt.
    Wieso fünfunddreißig? Meiner Berechnung nach waren es zwanzig. Er sieht mich an, als hätte er mich bei einer frechen Lüge ertappt.

    Ich schweige, weil er keine Ahnung von uns hat, und daß er keine Ahnung hat, schmerzt mehr als sein Mißtrauen. Ich könnte sagen, daß wir einander versprochen hatten, nicht das Leben des andern statt unseres eigenen zu führen.

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