Wenn du wiederkommst
genug davon, in den Krater zu starren, in dem meine Welt verschwunden ist, unsere gemeinsame Sprache, das Meer und die Küste, die Stadt, die Begeisterung für Musik und Bücher, die Lust am Leben, die Jerome für mich verkörperte, alles ist diesem einen Tod nachgestürzt.
Ich halte meinen grünen Samtfauteuil zwischen Bücherregal und Fenster besetzt, als sei er mein letzter Halt in einer Welt, die vor meinen Augen zerfällt. Dein Sessel, sagte Jerome, wenn er den grünen Samtfauteuil meinte, ich habe das Buch zuletzt auf deinem Sessel gesehen. Es war der logische Ort, meine Bücher offen, mit den Seiten nach unten über der Armlehne liegenzulassen, denn dort würden sie niemanden stören. Hier saß ich am frühen Morgen oft mit einem Buch, die einzige Frühaufsteherin im Haus, bevor Ilana und Jerome aufwachten, und schaute hinunter auf den Fluß und die Bäume. Ich kenne die ersten, kaum merklichen Vorzeichen jeder Jahreszeit. Wenn sich im Spätwinter ein gelblicher Schimmer auf die nackten Zweige legt, kommt bald der Frühling, und wenn
im Hochsommer das Laub eine erschöpfte Flechtenfarbe annimmt, bevor alle Blätter auf einmal in dumpfes, schattiges Glühen übergehen, ist der Sommer so gut wie zu Ende. An Wochenenden verbrachten wir hier viele Stunden, die meisten unserer Gespräche fanden hier oder am Eßzimmertisch statt. Fast alles, was ich gedacht und aufgeschrieben habe, nahm hier seinen Anfang, und auch nach dreißig Jahren war unser Interesse an dem, was den anderen bewegte, nicht versiegt. Niemand wird mir die Erinnerungen nehmen können an alles, was uns, unsichtbar für die anderen, zu einem Paar gemacht hat, vielleicht zu keinem Ehepaar nach dem bürgerlichen Gesetzbuch, zu keinem Liebespaar im Sinn trivialer Mythen, dafür war zuviel Trennendes geschehen, aber auch nicht zu einem bloßen Freundespaar, wir waren Mann und Frau nach unserer eigenen Definition. Ich bleibe schweigend unter den Trauergästen sitzen und verschließe mich gegen das Eindringen der Kälte, die mich glauben macht, es sei nicht mehr zwischen uns gewesen als der Anstand geschiedener Paare mit gemeinsamen Kindern. Ist es so schwer zu verstehen, daß ich für eine Weile weggehen mußte, damit wir zusammenbleiben konnten?
An einem der letzten Abende kommt einer, den ich nicht kenne, ein schwerer, wortkarger Mann. Er stellt sich als Steve vor, er sei Abgeordneter gewesen, Jurist im Ruhestand, erzählt er mir, er und Jerome seien alte Freunde gewesen. Er sucht mit niemandem ein Gespräch, er spricht nur zu mir, leise, so daß ich mich zu ihm hinüberbeugen muß. Als ich ihm Ilana vorstelle, wird sein Blick weich, fast zärtlich, aber er beschränkt sich auf die Kondolenzformel sorry for your loss, als sie ihm die Hand gibt.
Wir haben einiges füreinander getan, sagt er leise, er hat für
meinen Sohn in einem aussichtslosen Mordprozeß einen Freispruch erwirkt.
Ich sehe ihn fragend an, suche in meinem Gedächtnis nach einem Namen, glaube, mich zu erinnern.
Er stand unter Mordverdacht, das Beste, worauf wir hof fen konnten, war eine Anklage auf Totschlag, alle Indizien sprachen gegen ihn, aber Jerome hat die Geschworenen überzeugt, und mein Sohn verließ den Gerichtssaal als freier Mensch.
Marty, hat der junge Mann geheißen, jetzt erinnere ich mich wieder, es war einer von Jeromes größten Triumphen, die Geschichte einer Rechtfertigung, die zu unglaubwürdig klang, als daß irgend jemand dem Jungen eine Chance gab. Auch mir erschien sie fadenscheinig und konstruiert. Jerome glaubte ihm. Und selbst wenn ich ihn für einen Lügner hielte, erklärte er, ich würde ihn verteidigen, als ob ich ihm glaubte. Marty war damals College Student gewesen, als ihn sein Freund, mit dem er ein Zimmer teilte, anrief, er solle an einen bestimmten Ort kommen, er brauche ihn dringend. Dort hielt ihm der Freund einen Revolver hin, er sei geladen, er solle auf sein Gesicht zielen und abdrücken, er schaffe es nicht allein. Marty lehnte ab, wollte dem anderen die Waffe wegnehmen, und im Handgemenge ging der Revolver los und traf den Freund tödlich in die Brust. Eine unwahrscheinliche Geschichte, ohne Zeugen, die Lokalzeitungen erklärten Marty von der ersten Meldung an zum Mörder. Ich erinnere mich an die Schlagzeile im Boston Herald: Student shoots buddy in cold blood.
Jerome war bekannt für seine Plädoyers, sagt Steve, kein anderer hätte das geschafft. Später, als sie ihn aus der Kanzlei hinausekelten und seine Teilhaber ihm auch noch mit
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