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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Nachrichten erhalten, versteckt auf den Seiten von Büchern in unserem Alphabet. Er verhängte sofort ein Embargo über alle westlichen Bücher und ließ sämtliche in seinem Reich befindlichen Exemplare beschlagnahmen. Auch die Lieferungen an die persönliche Bibliothek seiner Gattin wurden gestoppt. Ein angeborenes Mißtrauen - verstärkt, wie es scheint, durch konkrete Indizien -treibt den Sultan dazu, seine eigene Frau der Komplizenschaft mit den Revolutionären zu verdächtigen. Doch eine Nichterfüllung der famosen Klausel im Ehevertrag würde zu einem Bruch führen, der für die herrschende Dynastie sehr belastend wäre, wie die Dame sich nicht enthalten kann, in einem Wutanfall anzudrohen, als ihr die Wachen den gerade begonnenen Roman aus den Händen reißen, eben jenen besagten Bertrand Vandervelde. «
    Dies war nun der Moment, da die Geheimdienste des Sultanats, die wußten, daß Ermes Marana den betreffenden Roman in die Muttersprache der Sultanin übersetzte, ihn mit Hilfe verschiedener Argumente dazu bewegen, sich an den Persischen Golf zu begeben. Seither erhält die Frau Sultanin Abend für Abend das vertraglich vereinbarte Quantum an spannender Romanprosa, allerdings nicht mehr in der Originalsprache, sondern im Manuskript frisch aus den Händen des Übersetzers. Sollte sich in der Wort- oder Buchstabenfolge des Originals eine kodifizierte Nachricht verborgen haben, so ist sie nun nicht mehr greifbar.
    »Der Sultan ließ mich fragen, wie viele Seiten mir noch zu übersetzen blieben, bis das Buch fertig sei. Ich begriff sofort, daß er bei seinen politisch-ehelichen Verdächtigungen nichts so sehr fürchtet wie den Moment des plötzlichen Spannungsabfalls nach der Beendigung eines Romans, wenn seine Frau, bevor sie den nächsten anfängt, wieder vom Leiden an ihrer Situation überfallen wird. Er weiß, daß die Verschwörer nur auf einen Wink der Sultanin warten, um die Lunte ans Pulverfaß zu legen, aber sie hat angeordnet, daß man sie beim Lesen auf keinen Fall stören dürfe, nicht einmal wenn der Palast in die Luft fliegen sollte. Auch ich habe Gründe, jenen Moment zu fürchten, der das Ende meiner Privilegien bei Hofe bedeuten könnte. «
    Darum schlägt Marana dem Sultan eine Verzögerungstaktik vor, die er den orientalischen Literaturtraditionen entnimmt: Er wird seine Übersetzung an der spannendsten Stelle abbrechen und einen neuen Roman zu übersetzen beginnen, den er mit Hilfe einfacher Kunstgriffe in den ersten einfügt, zum Beispiel indem er eine Person des ersten Romans ein Buch aufschlagen und lesen läßt. Auch der zweite Roman bricht ab, um Platz zu machen für einen dritten, der alsbald in einen vierten übergeht und so weiter.
    Vielerlei Gefühle bewegen dich, während du in diesen Briefen blätterst. Das Buch, dessen Fortsetzung du schon durch eine Mittelsperson zu kosten meintest, bricht erneut ab. Ermes Marana erscheint dir wie eine Schlange, die das Paradies des Lesens vergiftet. .. Statt des indianischen Sehers, der alle Romane der Welt erzählt, nun ein Roman-als-Falle, konstruiert von dem tückischtreulosen Übersetzer aus lauter Romananfängen, die in der Schwebe bleiben. .. Wie die Palastrevolte, die ebenfalls in der Schwebe bleibt, denn vergeblich warten die Verschwörer auf das Startzeichen ihrer illustren Komplizin, und reglos lastet die Zeit auf den flachen Gestaden Arabiens. .. Liest du oder phantasierst du? Läßt du dich so verzaubern von den Fabeleien eines Graphomanen? Träumst du auch schon von der erdölschwangeren Sultanin? Beneidest du den Umgießer von Romanen in den Serails von Arabien? Möchtest du an seiner Stelle sein, um jenen exklusiven Kontakt herzustellen, jenen Einklang der inneren Rhythmen, der sich ergibt, wenn zwei Menschen zur gleichen Zeit das gleiche Buch lesen, wie es dir möglich erschien mit Ludmilla? Du kannst nicht umhin, der gesichtslosen Leserin, die Marana vor deinem Auge heraufbeschworen hat, ihre Züge zu geben, die Züge der Leserin, die du kennst: Schon siehst du Ludmilla unter Moskitonetzen auf einem Diwan, sie liegt auf der Seite, ihr welliges Haar fällt auf die Seiten des Buches, schwül lastet die Hitze der Monsunperiode, indes die Palastverschwörer still ihre Klingen wetzen, doch sie überläßt sich dem Strom der Lektüre, als wäre Lesen die einzige mögliche Lebensbekundung in einer Welt, in der sonst nur trockener Sand über Schichten von ölhaltigem Bitumen ist und Todesgefahr aus Staatsraison und Streit um die

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