Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
schweigend an unserem Kaffee. Ich fragte mich, warum er noch hier war, und schwankte zwischen dem Gefühl, dass ich es schön fand, nicht alleine auf dem Boot aufgewacht zu sein, und der Tatsache, dass ich eigentlich keine Lust auf ein Gespräch hatte. Dennoch gefiel es mir, dass er seine Lektüre unterbrochen hatte.
»Ich bin froh, dass du geblieben bist«, sagte ich.
Er sah überrascht aus und schien sich zu freuen. »Oh, schön, dass ich nicht länger geblieben bin als erwünscht.«
»Arbeitest du heute nicht?«
»Ich habe heute frei und morgen auch. Ich will all das erledigen, wozu ich unter der Woche nicht komme, wie einkaufen, Wäsche waschen, lauter so aufregende Sachen. Was ist mit dir? Wie sind deine Pläne?«
»Ich wollte mir Badewannen anschauen«, sagte ich.
»Du meinst, im Heimwerkerladen?«
»Nur, wenn es sein muss. Ich dachte eher an einen Schrottplatz. Wenn ich keine alte Badewanne finde, die mir gefällt, muss ich eine neue nehmen. Aber die meisten sind nicht für Boote konzipiert worden.«
Pause. Ich fragte mich, ob er wohl Hunger hatte und ob sich noch irgendwas Essbares auf dem Boot befand.
»Ich möchte dich gerne etwas fragen«, sagte er.
»Das klingt gefährlich.«
»Ich frage dich das nur einmal, und wenn du mir keine Antwort geben willst, ist das auch in Ordnung. Okay?«
»Klar.«
»Was ist mit deinen Handgelenken passiert?«
Ich sah auf meine Hände herab. Wie hatte ich nur so dumm sein und das vergessen können? Ich hätte mir einen Pullover anziehen und die Fesselspuren damit verdecken sollen. Ich hatte schmale Schnittwunden um beide Handgelenke, dort, wo die Haut von den Kabeln aufgescheuert worden war. Es sah aus, als trüge ich rosafarbene Armbänder.
»Du würdest mir nicht glauben.«
»Versuch es doch einfach.«
Ich zuckte die Achseln, denn ich war noch immer ein wenig betrunken und zu müde, um zu streiten. »Während ich schlief, sind ein paar Männer auf mein Boot gekommen. Sie haben mich gefesselt. Das ist alles.«
»Wann war das?«
»Vorgestern Nacht.«
»Hast du die Polizei verständigt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Malcolm hat mich am nächsten Morgen gefunden und die Fesseln durchtrennt. Da hatte es schon keinen Sinn mehr, irgendwen anzurufen.«
Er starrte mich an.
»Was ist denn?«
»Ich verstehe nicht, wie du so gleichgültig sein kannst nach dem, was man dir angetan hat.«
»Was soll ich denn machen – mich hinlegen und losheulen? Ich muss weitermachen.«
»Hast du denn keine Angst, dass sie zurückkommen?«
»Natürlich habe ich das«, sagte ich. »Aber was soll ich denn tun?«
»Genevieve. So etwas kannst du nicht einfach auf sich beruhen lassen. Sollte das noch einmal vorkommen, rufst du die 999 an. Versprich mir das!«
»Klar«, sagte ich und war ein wenig sauer, dass er plötzlich so förmlich geworden war.
Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich dürfte nicht hier sein«, sagte er. »Ich dürfte das nicht tun.«
»Ich halte dich nicht auf«, sagte ich, stand auf, kehrte ihm den Rücken zu und lief ins Schlafzimmer. »Und mach bitte die Tür hinter dir zu, wenn du gehst.«
Ich legte mich wieder auf mein Bett und horchte, ob ich seine Schritte auf der Treppe zum Steuerhaus und dann die Tür hören würde, doch es herrschte Stille. Wenigstens drehte sich jetzt der Raum nicht mehr. Mir war nur ein bisschen übel, und ich hatte immer noch Kopfweh. Wenn ich ein wenig Schlaf nachholte, würde alles gut werden. Eine Stunde Schlaf, dann würde ich an die frische Luft gehen, mich auf mein Rad schwingen und nach einer Badewanne suchen.
Kurz darauf stand er in der Tür. Ich drehte meinen Kopf, sah ihn an und überlegte, ob ich mich entschuldigen oder wenigstens aufstehen und irgendwas sagen sollte. Stattdessen sah ich zu, wie er zu meinem Bett kam. Diesmal machte er sich nicht die Mühe, seine Klamotten zusammenzufalten und ordentlich auf einen Stapel zu legen. Er riss sie sich vom Leib und ließ sie einfach fallen.
Als ich nach unten ging, begegnete ich Caddy. »Was wollte er?«, flüsterte sie eindringlich zum pulsierenden Stampfen der Musik, die aus dem Club drang.
»Ich soll wieder auf eine Party kommen«, sagte ich.
Sie sah mich bedrückt an.
»Ich dachte, du wolltest das nicht mehr machen?«, sagte sie.
»Darum geht es nicht. Es ist nur …«
»Was?«
Dylan ging an uns vorbei hinauf ins Büro. Er warf mir einen vielsagenden Blick zu und sah dann zu den Überwachungskameras hinüber.
»Hör zu«, sagte ich, »lass uns später
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