Wenn Frauen nicht mehr lieben
entscheidet sich, ihren ange-stammten Platz am Frauentisch zu verlassen und sich für die verbleibende Zeit an einen Tisch zu setzen, an dem die Stimmung lustig und heiter ist. Hatte Anna gewußt, was in der Folge auf sie zukam, hätte sie sich diesen Schritt besser überlegt. Denn abends bereits wird sie von der ehemaligen Tischnachbarin auf dem Korridor angefaucht.
Es werden ihr die übelsten Vorwürfe und Schuldgefühle 103
gemacht. Sie sei unhöflich und unfair gegenüber den anderen Frauen, die jetzt allein zu dritt am Tisch sitzen müßten. Anna ist betroffen und verunsichert. Hat sie wirklich einen so großen Fehler begangen? Nachts findet sie keine Ruhe. Die Vorwurfshaltung der anderen Frauen, die sie nun nicht einmal mehr grüßen, hält sie nicht länger aus. Anna entschuldigt sich. Dennoch kehrt sie gottlob nicht zum alten Tisch zurück. Aber die Dreiergruppe will ab jetzt nichts mehr von ihr wissen. Mit anderen Worten, Anna wird hinausgeekelt, weil sie für sich ein ganz normales Freiheitsrecht beansprucht hat.
Was bei Frauen die Regel, ist bei Männern eine seltene Ausnahme. Kaum ein Mann wird sich derart kleinlich einem anderen Mann gegenüber verhalten, der auf diese Weise »aus der Reihe tanzt«. Geschweige denn ihn wegen eines solchen »Vergehens« mit Tadel, Liebesentzug oder Verstoßung bestrafen.
Das Drehorgelthema der Machtberaubung durch den Mann, an das sich manche Frauen immerfort klammern, einhergehend mit der Theorie der Frau als Opfer männlicher Gewalt und Unterdrückung, dient denn allzu oft der Verschleierung der wahren negativen Machtverhältnisse unter Frauen. Verleugnet wird besonders die Tatsache, daß Frauen sich selbst sehr viele Barrieren stellen und sich gegenseitig an Macht und Einflußnahme hindern. Erfolgreich wird verdrängt und den Männern zugeschoben, daß Frauen sich offen oder versteckt gegenseitig im Weg stehen, im Privat- wie im Berufsleben. Im Klartext, daß Frauen dort, wo sie den Erfolg einer anderen Frau wittern, geheime Verhinderungspläne austüfteln, Intrigen anzetteln und versteckt ein Aversionsklima gegen die betreffende Frau kreieren, das nicht selten zum erwünschten Mißerfolg der Betreffenden führt. Wenn nicht, bleiben nachträglich immer noch die geheimen weiblichen Rachemanöver, die 104
Frauen seit Jahrtausenden geschickt und unauffällig in die Wege zu leiten wissen.
Warum existiert diese Aggressivität, diese Gleich-macherei unter Frauen? Und warum tut sich die Frau mit Hierarchieverhältnissen so viel schwerer als der Mann?
Mit weiblichen Hierarchien, die ja keine Herrschafts-, sondern Funktionshierarchien sind? Soviel ist klar. Die Frauenbewegung hat es versäumt, sich mit diesem Tabuthema innerweiblicher Macht auseinanderzusetzen.
Will die Emanzipation nicht weiter stagnieren, wird sie dieses heiße Eisen anpacken müssen. Dies hieße dann auch, sich von der uralten Utopie einer allgemeinen Frauensolidarität zu verabschieden und den Tatsachen ins Auge zu sehen.
Frauen bremsen Frauen. Mißtrauisch bewachen sie jeden Versuch, das einzigartige Wesen der Frau genuin von der Frau aus zu definieren, erst recht, wenn dieser Definitionsversuch von Männerseite kommt. Und Frauen lassen sich durch andere Frauen auch schnell bremsen. Es ist schwierig für sie, sich von anderen Frauen zu unterscheiden, etwa einen höheren Posten zu besetzen oder über mehr Macht zu verfügen als andere. Manche tun es zwar, aber ich wage zu zweifeln, ob ihnen dabei rundum wohl ist angesichts der zahlreichen mißgünstigen Blicke anderer Frauen. Es trifft eine der Urängste der Frau, von anderen Frauen (oder der Mutter) nicht akzeptiert bzw. nicht geliebt zu werden. Frauen haben viel größere Angst vor Ablehnung und Zurückweisung als Männer. Dies hindert sie aber nicht daran, anderen Frauen den Erfolg zu vergällen.
Der heutige Feminismus steht einer umfassenden Philosophie der Freiheit der Frau entgegen. Einer Freiheit, die die Frau in ihrer Ganzheit anspricht und nicht nur in ihrer vom Mann abhängigen Dimension. Diese Ausein-105
andersetzung mit dem Thema eigener »selbstver-schuldeter« Abwehr von Macht, nämlich die Bekämpfung der Macht anderer Frauen, würde auch den Verzicht beinhalten, auf die an die Adresse des Mannes formulierten Schuldzuweisungen zu verzichten, um sich endlich der eigenen Psyche zuzuwenden. Denn echte weibliche Lebensbejahung kann nur auf der Konfrontation mit der Wahrheit aufbauen.
Das zwanzigste Jahrhundert ist eine Fundgrube
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