Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
uns zu unterhalten und wieder anzunähern. Obwohl wir beide in Manila gelebt hatten, waren wir uns nur selten begegnet, da wir in getrennten Häusern untergebracht waren. Am Zoll hatten wir Probleme, weil dem Beamten zwei weiße »indische« Schwestern verdächtig vorkamen, die Kelche mit sich führten. Diese waren uns von Filipinos für die Kapellen der neuen MN-Häuser gespendet worden, die Mutter in Indien eröffnen wollte.
Mit unseren Habseligkeiten in der Hand hielten wir erwartungsvoll nach einem Begrüßungskomitee in Weiß und Blau Ausschau, aber da war niemand, nur Hitze, Fremde und vereinzelte, ausgezehrt aussehende Rinder. Entweder waren unsere Flugdaten nicht angekommen oder übersehen worden. Wir riefen das Mutterhaus an, und nachdem
wir lange hatten warten und uns bettelnde Kinder und Taxifahrer vom Leib hatten halten müssen, wurden wir endlich doch noch abgeholt und zum Haus der Missionarinnen der Nächstenliebe in Dum Dum in Nähe des Flughafens gebracht. Es war bereits dunkel.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Kalkutta hinein, ein Moloch von Stadt mit abblätternder Farbe und lautem Gehupe, in der einem ständig die Kleider am Leib klebten. Ich stürzte mich in das Gewimmel von Menschen in farbenprächtigen Saris und dhotis oder westlicher Kleidung, von denen viele ihre Lasten auf dem Kopf trugen. Trambahnen, Lastwagen, Fahrräder, Männer, die Rikschas oder Karren zogen, kämpften um ihren Platz inmitten des Lärms, der Hitze und des Smogs.
Naomi und ich trafen mit als Erste einer neuen Tertianergruppe in dem dreigeschossigen weißen Studentenheim in der Park Street 90 ein, in dem die Novizinnen ausgebildet wurden und das einen kurzen Fußweg vom Mutterhaus entfernt lag. Die älteren Tertianerinnen waren, bevor sie ihre endgültigen Gelübde ablegten, auf Heimaturlaub und die Juniortertianerinnen von ihren Missionshäusern noch nicht eingetroffen.
Die Vorderfront des Hauses in der Park Street grenzte an die Straße, und in einem kleinen Innenhof befanden sich ein Wassertank und ein Waschplatz. Das Flachdach auf dem Obergeschoss diente mit seinen Wäscheleinen zum Trocknen und wurde von den allgegenwärtigen schwarzen Krähen bewohnt. Von diesem Aussichtspunkt konnte ich die dünnen, sehnigen walas - Rikschafahrer - beobachten, die sich bei drückender Hitze und feuchter Luft
als menschliche Pferde betätigten und die hinter ihnen in dem kleinen Buggy sitzenden Fahrgäste beförderten. Mit ihren Fingern schlugen sie eine kleine Glocke gegen die Rikschastreben, um sich freie Bahn zu verschaffen und nicht an Schwung zu verlieren. Andere Männer balancierten hohe, schwere Lasten auf ihrem Kopf oder waren vor Karren gespannt, auf denen sich Kohlesäcke oder andere Güter türmten. Die klapprigen Trambahnen ratterten so vollgepackt mit menschlicher Fracht durch die Park Street, dass die Fahrgäste Mühe hatten, sich aus dem Gedränge zu schälen, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten. Busse schlichen sich in bedenklicher Schräglage hindurch, und die Passagiere, die auf ihrem Dach zusammengepfercht waren oder wie Trauben an jeder Tür hingen, mussten sich festklammern, um nicht herunterzufallen.
Unserem Haus gegenüber stand eine Moschee. Im Winter standen wir vor den Mullahs auf, während sie uns im Sommer zuvorkamen und die Gläubigen schon bei Tagesanbruch zum Gebet riefen. Unsere Aufstehzeit um zwanzig vor fünf blieb das ganze Jahr über unverändert. Familien, die durch unbekannte Schicksalsschläge aus ihren Dörfern vertrieben worden waren, lebten, getrennt durch die Eingangsmauer, auf dem Gehweg vor unserem Kloster. Sie badeten auf der Straße unter grellen Reklametafeln, die Luxusgüter anpriesen, welche sie sich niemals würden leisten können. Frauen kochten, was immer sie auftreiben konnten, in geschwungenen Silbertöpfen. Auf ihren Hacken hockend schürten sie das Feuer mit dem Unrat und dem Mist, den ihre Kinder aus den Müllhaufen in der Umgebung ergattert hatten. Andere standen Schlange vor den Handpumpen,
um ihre Wasserbehälter zu füllen. Zum Schlafen hüllten sie sich in offene, grobe Rupfensäcke oder was sich sonst als Decke finden ließ.
Verstreut über die ganze Stadt besaßen die Missionarinnen der Nächstenliebe mehrere große Ausbildungshäuser. Fast dreihundert Schwestern, hauptsächlich Novizinnen, lebten im Mutterhaus in der Lower Circular Road. Auf einem kurzen Fußweg gelangte man zur Shishu-Bhavan-Gemeinde und dem Kinderheim. Ein weiteres Haus, in einer ehemaligen
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