Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
hin. Eines Abends nach dem Gebet ging ich zu ihr, um sie ins Professenhaus zu holen, damit sie dort einen Anruf aus dem Ausland annehmen konnte. Ich wartete auf sie und begleitete sie dann zurück zum Schlafsaal der Novizinnen, wo sie im Bett unter dem Moskitonetz sitzen blieb, weil sie im Liegen keine Luft bekam. Ich blieb neben ihrem Bett stehen, bis sie mich wegwinkte und füsterte, es gehe ihr gut.
Beim Frühstück bekam Mutter Tee eingeschenkt. Das Salz wurde in einem ziemlich großen Glas über den Tisch gereicht. Mutter nahm zwei Teelöffel davon und schüttete es in ihren Tee.
»Trinkt Mutter ihren Tee mit Salz?«, fragte mich eine der
Schwestern. Sie ging wohl davon aus, Mutter übe auf diese Weise Buße. Als Mutter den Tee trank, hustete sie, wurde rot vor Lachen, weil sie das Salz mit dem Zucker verwechselt hatte. Eine derartige Bußübung wäre ihrem schwachen Herzen auch nicht bekommen.
Wir Schwestern wurden alle einzeln von Mutter empfangen, um unsere allgemeinen Bewilligungen zu erneuern. Als mein Termin näher rückte, wurde ich ängstlich wegen der Briefe, die ich nach Kalkutta geschickt hatte, aber auch, weil ich mir einredete, als Lehrerin der Novizinnen versagt zu haben. Nachdem ich mich vor sie gekniet und mit meiner Stirn den Boden berührt hatte, beichtete ich, wie es der Brauch war, »meine Fehler«, auch dies auf Knien. Dann teilte ich Mutter meine Zweifel und meine Meinungsverschiedenheiten mit meinen Vorgesetzten mit.
Mutter sagte: »Nimm, was immer Er gibt; gib, was immer Er nimmt. Ob du wissend bist oder unwissend, dazugehörst oder ausgeschlossen bist, gemocht wirst oder nicht, mit einem großen Lächeln. Mutter musste hierherkommen. Es war sehr schwierig, aber da ich hierherkomme und dies tue, muss ich auch Freude daran haben. Immer lächeln. Selbst wenn Jesus Mutter schlecht behandelt, ist das eine Privatangelegenheit zwischen ihm und mir. Keiner muss etwas davon erfahren; es ist eine Familiengeschichte. Wenn ich die Stirn runzle und ein trauriges Gesicht mache, werden alle sagen: ›Armes Ding, armes Ding.‹ Das ist alles, was du bewirkst. Wenn dein Herz recht und rein ist und du jemanden am Tor siehst, kannst du zu wiederholten Malen zu deiner Vorgesetzten gehen, wie die Frau im Evangelium. Wenn sie zornig wird, ist das ihre Sache, nicht
deine. Wenn es so ist, dann sage der Schwester: ›Ich werde dem Kind etwas geben‹, gehorche ihr aber in allen anderen Dingen. Du bist zu sehr mit dir selbst beschäftigt, so beschäftigt, dass du von Jesus getrennt bist. Du hast keine Zeit zu beten. Du musst lächeln. Du gehörst zu Jesus, du bist sein Eigentum. Er muss dich benutzen können.
Ich verbiete dir, Schwester, wieder so zu denken und dich mit den Fehlern der anderen zu beschäftigen. Wenn du dies absichtlich tust, musst du es beichten. Du darfst nicht urteilen - dass jemand etwas Falsches tut, das du zwar erkennst, aber wofür du die Gründe nicht kennst. Ich rette mich auf diese Weise. Indem du urteilst, begehst du möglicherweise eine schwerwiegendere Sünde als die, die von ihnen begangen wird. Möglicherweise sagst du: ›Sie weiß nichts vom vierten Gelübde, sie hat es gebrochen‹, das ist ein Urteil. Du musst aufmerksam beten. Bei der Arbeit kannst du nicht immer denken - Gott, Gott, Gott, aber du erklärst eine Absicht: Jesus möge alles für dich sein. Wenn du jedoch betest, reicht die Absicht nicht. Dann ist deine ganze Aufmerksamkeit gefordert. Du musst wirklich beten. Sei demütig, Schwester, und Gott wird dich benutzen können. Was auch immer geschehen ist, wie immer es geschah, Gott erlaubt es, um dich demütig zu machen. Wenn du dich der Demut verweigerst, wenn du zornig und verbittert bist, wird Gott dich übergehen und seinen Versuch, dich demütig zu stimmen, aufgeben.«
Mutter gab mir mit auf den Weg, demütig zu sein und mich völlig zu vergessen, damit ich an die anderen nur Jesus weitergebe. Das war das letzte Mal, dass ich sie sah.
In dieser Nacht ging ich im Dunkeln hinaus und betete: »Gott, ich hoffe, du existierst, weil ich so nicht leben will, ohne dass dahinter ein Sinn steht. Wenn du keine Einwände hast, möchte ich weggehen.« Obwohl mir nie der Gedanke kam, mir etwas anzutun, war es mir doch gleichgültig, ob ich lebte oder starb.
9
Verbannt
»Ich kann nichts erkennen vor mir. Wo, frage ich, liegt dein Pfad?«
Tagore, Gitanjali XXIII
Fünf von uns, unsere Oberin Schwester Dolores, Ling, Timothy, Paix und ich verließen
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