Wenn ich in deine Augen seh (Bianca) (German Edition)
als hätte er ihr eine Stunde lang sein Herz ausgeschüttet. Flirten bedeutete, dass er sie als Frau ansah und das wollte er gar nicht. Ebenso wenig wollte er, dass sie in das Puppenhaus seiner verstorbenen Frau einzog. Tja, dein Pech. Ich habe jedenfalls nicht die Absicht, dich von deiner Zusage zu entbinden, mein Lieber.
Es schneite erneut. Die Flocken rieselten wie Konfetti vom Himmel herab auf die Windschutzscheibe und tanzten im Scheinwerferlicht.
Vorsichtig fuhr sie über die Landstraße aus der Stadt hinaus. Ein kleiner Fehler und schon würde sie im Graben landen – meilenweit entfernt von der Zivilisation, ohnmächtig gegen die Kälte und womöglich begraben unter dem Anhänger.
Für diese Nacht waren Minustemperaturen bis zu dreißig Grad vorausgesagt. Unwillkürlich dachte Rachel an die Kühe und deren Kälber. Hatten sie genug Widerstandskraft gegen harte Winter? Oder brachte Ashford sein Vieh nachts in die Stallungen?
Wie auch immer, sie verspürte Mitleid mit den Jungtieren und sah in den Rückspiegel, um nach ihrem eigenen Nachwuchs zu sehen. „Alles klar da hinten?“
„Ja.“
„Willst du was singen?“
„Nein.“
Seltsam. Eigentlich liebte es Charlie, während des Autofahrens zu singen. Schon seit sie ihn von der Schule abgeholt hatte, wirkte er verstimmt. „Ist heute irgendwas passiert, Charlie?“
„Nee.“
„Du würdest es mir doch sagen, oder?“
„Vielleicht.“
Also doch! „Hattest du Streit mit Tyler?“
„Nein. Er ist doch mein bester Freund.“
„Was hast du denn dann, mein Kleiner?“
„Ich will nicht wieder weg von hier. Ich will für immer hierbleiben.“
„Ach, Charlie, du weißt doch, dass das nicht geht.“
„Wieso denn nicht? Warum müssen wir denn andauernd umziehen?“
„Schätzchen, das habe ich dir doch schon so oft erklärt. Die Soldaten, die ich befragen muss, wohnen nun mal in verschiedenen Staaten. Außerdem lernen wir gern neue Gegenden kennen“, behauptete sie fröhlich. „Stimmt’s?“
„Aber ich will für immer im gleichen Haus wohnen.“
Sie hatte ihre ganze Kindheit über in ein und demselben Haus gewohnt, ohne glücklich zu sein. Erst mit Charlie war für sie das Glück gekommen. Von dem Moment an, als sie von der Schwangerschaft erfahren hatte, liebte sie ihr Kind.
„In unserem nächsten Haus in Richmond bleiben wir für immer“, versprach sie ihm. „Dann kannst du immer in dieselbe Schule gehen und du findest ganz viele Freunde und bekommst einen Hund und auch ein Baumhaus …“ Und wenn sie dafür einen Zweitjob in einer Imbissbude annehmen musste, wollte sie ihm dieses Zuhause verschaffen.
„Okay“, murmelte er kleinlaut.
„Ich hab dich lieb, Champion.“
„Ich dich auch, Mom.“ Er fuhr mit seinem Spielzeugauto über die beschlagene Fensterscheibe, wo die Räder Spuren hinterließen.
In der Finsternis tauchte das hell erleuchtete Ranchhaus auf. Die Scheinwerfer erfassten zwei dunkle Silhouetten mit gelb glühenden Augen – die Collies, die um das Auto herumschlichen, als sie den Motor abstellte.
Der grüne Truck war nirgendwo zu sehen. Hatte Ashford die Steaks für jemanden in der Stadt gekauft? Eine beste Freundin vielleicht, die seine Gesellschaft und seine Flirts genoss? Die ihn nicht in einem Moment verführerisch anlächelte und im nächsten böse anstarrte?
Warum in Gottes Namen bin ich bloß auf die Idee gekommen, dass er Single ist? Natürlich lebt er seit dem Tod seiner Frau nicht wie ein Mönch. Er hat doch deutlich genug betont, dass seitdem fünfundfünfzig Monate vergangen sind.
Auf dem Weg zum Haus stiegen Rachel angenehme Gerüche in die Nase – nach Kühen, Stallungen und Brennholz, nach Schnee, Wind und Nacht.
Eine Latina mit sanftem Gesicht und dickem Zopf, der ihr fast bis an den Po reichte, öffnete lächelnd die Vordertür. „Ms Brant? Ich bin Inez, die Haushälterin. Hier ist der Schlüssel für das Cottage. Gleich daneben ist Platz zum Parken.“
„Danke.“ Rachel nahm den Schlüssel entgegen und fuhr mit Wagen und Anhänger über den Kiesweg, den nur eine dünne Schicht Neuschnee bedeckte. Offensichtlich war er im Laufe des Tages freigeschaufelt worden.
Jemand hatte Licht im Cottage eingeschaltet, sodass es durch die Fenster einladend schimmerte.
Wärme schlug ihnen entgegen, sobald Rachel die Haustür öffnete. Anscheinend lief die Heizung schon den ganzen Tag.
Eifrig fragte Charlie: „Kann ich mir mein Zimmer aussuchen?“
„Klar.“
Er streifte sich die Stiefel ab
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