Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
wach sind, hätten Sie was dagegen, wenn ich auf einen Sprung reinkomme?«
Anya wünschte sich eine heiße Dusche und etwas zu essen. Sie hatte einen Geschmack im Mund, als hätte sie im Schlaf Zeitungen zerkaut.
»Es dauert nicht lange.« Entweder bemerkte Ethan ihre Unwilligkeit nicht, oder es war ihm egal. Mit dem Laptop in der Hand spazierte er durch die Tür.
»Wir wissen, dass Dorafino das Zimmer neben Janson hat, aber die Stimme, die wir gestern gehört haben, klang anders.« Er lud ein Video von YouTube herunter. »Ich habe eine Reihe von Interviews mit den Spielern zusammengesucht, die ich Ihnen gern vorspielen möchte. Ich kenne diese Typen zwar, aber für mich hören sie sich alle gleich an. Ich hab’s mehr mit Gesichtern.«
Anya hatte den Eindruck, die beiden Männer, die sie belauscht hatten, hätten sich weniger Gedanken über Jansons Tod gemacht als über das, was ihnen nach der Nacht im Rainier Hotel drohte. Sofern es nicht kurz vor Jansons Tod einen weiteren Vorfall gegeben hatte, weswegen sie zur Polizei mussten. Wenn man sich die Vergangenheit aller Beteiligten ansah, war das alles andere als ausgeschlossen.
Ethan spielte die YouTube-Filmchen auf dem Laptop ab, angefangen mit einem Interview McKenzies auf ESPN . Er hielt den Clip an und ließ ihn ein zweites Mal laufen. Anya beugte sich über seine Schulter, um den Bildschirm zu sehen.
»Der war’s. Der mit der dominanten Stimme«, sagte Anya.
Ethan war derselben Meinung. McKenzie hatte dem anderen befohlen, den Mund zu halten und nicht vom Wortlaut des Protokolls abzuweichen. Jetzt mussten sie nur noch herausbekommen, wer der zweite Spieler war, dann konnten sie sich die fraglichen Protokolle auf ihren Inhalt hin ansehen.
Im nächsten Filmausschnitt behauptete Vince Dorafino, der beste Tight-End-Spieler der Welt zu sein, dazu präsentierte er mit einem Tänzchen seinen Hintern. Er sprach nasaler und melodischer als der zweite Mann im Zimmer.
Sie waren sich einig, dass er es nicht sein konnte.
Als Nächstes suchte Ethan nach Lance Alldridge. Es war gar nicht so leicht, einen Film des Mannes zu finden, der in den Medien gern als großer freundlicher Riese dargestellt wurde. Aber dafür, dass er so freundlich war, hatte Alldridge die ausgeprägte Vorliebe, in Gegenwart eines Mikrofons stumm zu bleiben. Schließlich fand sich doch ein Interview. Mit seinem tiefen, satten Bariton schied er sofort aus. Er war der Spieler, der versucht hatte, Janson bei Anyas Eröffnungsvortrag klarzumachen, dass HIV nicht nur schwule Männer betraf. Er saß nicht bei den anderen und kleidete sich nicht wie sie, trotzdem war er angeblich einer der Vergewaltiger.
Blieb noch Clark Garcia. Dem Nachwuchsspieler fiel es erkennbar schwer, sich bei einem kurzen Statement in der Garderobe verständlich auszudrücken. Er stammelte Phrasen wie »einhundertzehn Prozent«, »riesige Anstrengungen« und »harte Schläge«. Anya attestierte ihm einen unterdurchschnittlichen IQ . Gut möglich, dass es ihm Probleme bereitete, sich an Spielverläufe zu erinnern oder an den Wortlaut, den man ihm für das Polizeiprotokoll vorgegeben hatte. Die verbleibenden vier Verdächtigen mussten also mit einer potenziellen Schwachstelle zurechtkommen.
Sah man sich den Größenunterschied zwischen Spielern und Interviewern an, so war überdeutlich, dass jeder Einzelne von ihnen eine Frau wie Kirsten Byrne problemlos überwältigen konnte.
»Und nun?«, wollte Anya von Ethan wissen, der mit dem Stift auf die Tischplatte trommelte.
Er klappte das Laptop zu. »Es bleiben noch zwei Stunden bis zu Ihrem Termin beim Leichenbeschauer.«
Anya streckte sich und sah sich im verwüsteten Zimmer um. Ethan war so höflich, sich eines Kommentars zu enthalten.
»Was mir keine Ruhe lässt, ist, dass Kirsten heftig geblutet haben muss, auch im Zimmer schon. Aber es wurde weder an der Bettwäsche noch an den Handtüchern Blut gefunden.«
»Sie haben recht. Dieser Teil der Geschichte ergibt keinen Sinn. Keiner dieser Männer kann sich eigenhändig die Hundekacke vom Schuh putzen, geschweige denn ein blutiges Betttuch reinigen.«
Blut war schwer zu entfernen, von weißer Hotelbettwäsche ganz besonders.
Es war denkbar, dass Kirsten sich im Zimmer geirrt hatte.
Oder war sie am Ende ganz woanders vergewaltigt worden? Aber wieso sollte sie lügen? Das galt es herauszufinden.
29
Zwanzig Minuten später waren sie auf dem Weg ins Rainier Hotel. Von Ethan wusste sie, dass die Organisation, die die Feier
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