Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
habe sie beruhigt, sodass sie keinen Grund mehr sah, mit mir in Verbindung zu bleiben. Sie hat sich sehr für die Kinder, die sie betreute, engagiert, und das hat ihr sicher über vieles hinweggeholfen.«
»Und die Familie, bei der sie gearbeitet hat, als sie mit mir schwanger war?«, fragte Daisy. »Vielleicht hat sie zu ihr Kontakt gehalten.«
»Das bezweifle ich stark, mein Kind.« Dr. Fordham machte eine wegwerfende Bewegung mit den Händen. »Die Leute nahmen es ihr nämlich sehr übel, dass sie bei ihnen aufhören wollte. Sie war das perfekte Kindermädchen, eine echte Mary Poppins. Sie verstanden nicht, warum sie mit behinderten Kindern arbeiten wollte, da sie doch zwei so niedliche kleine Jungs hatten. Ich glaube, die Frau hat Ellen eine schlimme Szene deswegen gemacht.«
»Wie lange war sie denn bei ihnen?«
»Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber ich denke, nach Ihrer Geburt mindestens noch ein Jahr. Sie liebte die beiden Buben. Aber sie hat das Richtige getan. Ellen war ein kluges Kind und viel zu schade, um nur Haushaltshilfe zu sein. Sie bat mich um ein Empfehlungsschreiben für die Schule in South Bristol, und das habe ich ihr mit dem größten Vergnügen ausgestellt.«
Daisy bemerkte den leicht abwesenden Gesichtsausdruck der alten Dame und wollte wissen: »Halten Sie diese Entscheidung heute auch für falsch?«
»O nein, es war ein lobenswerter Entschluss. Aber es war um diese Zeit, als ich meine Rolle bei der Adoption zu bereuen begann. Ich erkannte, dass Ellen nicht darüber hinweggekommen war, dass sie vielleicht nie darüber hinwegkommen würde.«
Daisy fühlte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Sie würde die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen können, das war ihr jetzt klar. »An wen könnte ich mich denn noch wenden?«
Dr. Fordham überlegte einen Augenblick. »Ellen hatte eine sehr gute Bekannte, eine gewisse Mrs. Peters. Ihr Mann war Lehrer, und sie wohnte in dem Dorf, aus dem Ellen stammte. Sie setzte sich dafür ein, dass Ellen nach Bristol gehen konnte, als sie schwanger war, und ich entsinne mich, dass sie, als sie die Stelle in der Schule antrat, erwähnte, sie würde Mrs. Peters noch regelmäßig besuchen, sooft sie nach Cornwall fuhr. Das Dorf hat einen lustigen Namen, Mister Smith oder so ähnlich.«
Daisy lächelte. »Mawnan Smith. Ich wollte ohnehin nach Cornwall fahren; ich werde versuchen, dort mehr zu erfahren. Würden Sie mich bitte anrufen, falls Ihnen noch etwas einfällt?«
»Sie sehen Ellen sehr ähnlich«, bemerkte die alte Dame unvermittelt. Ihre Augen schimmerten verdächtig feucht. »Sie haben genau die gleichen Haare. Es sind nicht nur die Farbe und die Locken – es ist die Art, wie sich das Licht darin fängt. Als säße ich wieder hier und unterhielte mich mit ihr.« Sie betrachtete Daisy nachdenklich. »Aber Sie machen einen viel forscheren Eindruck. Ellen neigte dazu, den Kopf hängen zu lassen. Fragen stellte sie fast nie. Sie sind ganz bezaubernd, genau wie sie. Natürlich werde ich Sie anrufen, falls mir noch etwas einfallen sollte.«
Die Unterhaltung schien damit beendet zu sein. Daisy stand auf und streckte die Hand aus. »Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Hilfe. Ich muss jetzt gehen, mein Hund wartet im Auto.«
Dr. Fordham erhob sich ebenfalls. Ihr Händedruck war fest. »Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen«, versicherte sie, und ihre Augen lächelten. »Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie sie finden.«
Daisy hatte plötzlich das Gefühl, die Szene schon einmal erlebt zu haben. »Hat meine Mum mich in diesem Zimmer in Empfang genommen?«, fragte sie.
Die alte Dame lächelte. »Ja, hier war es. Dieser Raum war damals mein Wohnzimmer, meine Praxis hatte ich im Keller. Die Pflegemutter, die sich die ersten sechs Wochen um Sie kümmerte, kam gegen Mittag. Ihre Eltern waren schon da. Sie waren überglücklich und furchtbar aufgeregt. Aber so ist das nun einmal bei einer Adoption: Das Glück einer Frau baut auf dem Schmerz einer anderen auf.«
Die Worte klangen in Daisy nach, als sie das Haus verließ. Sie hatte sich nie bewusst gemacht, was es für eine Mutter bedeuten musste, ihr Kind wegzugeben.
An diesem Abend saß Daisy in ihrer Pension auf dem Bett, Fred neben sich, und dachte über ihre Unterhaltung mit Dr. Fordham nach.
Nach dem Besuch bei der alten Dame hatte sie mit Fred einen langen Spaziergang über die Downs bis nach Clifton unternommen. Sie hatte die Hängebrücke über der Avon Gorge bewundert und
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