Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
mühelos. Es gehörte einem Teilhaber der Firma, in der sein Vater arbeitete, und Daisy durfte eine Woche kostenlos darin wohnen. Die einzige Bedingung war, dass sie es gründlich putzte, bevor die Eigentümer zu Ostern kamen.
Das Haus war ihr als »einfach« beschrieben worden, deshalb hatte sie nicht allzu viel erwartet. In Wirklichkeit war es ein reizendes ehemaliges Fischerhaus, das in einer Zeile ähnlicher Häuser stand. Die Eigentümer hatten die Holzfußböden neu versiegelt, die Wände weiß und die alten Holzmöbel leuchtend blau gestrichen.
Vermutlich wegen des tagelangen milden, sonnigen Wetters war es in seinem Innern auch nicht feucht und kalt, wie Daisy angenommen hatte. Als sie vom Schlafzimmerfenster auf den Fischereihafen blickte, fühlte sie sich zufrieden wie lange nicht mehr. Es war, als hätte der Abstand von London sie endlich einen entscheidenden Schritt weitergebracht. Jetzt konnte sie nach vorn schauen.
Am Nachmittag schlenderte sie mit Fred zur Burg hinauf. Auf der anderen Seite der Flussmündung lag Falmouth. Vielleicht war es doch nicht nur Zufall gewesen, dass ihr gerade hier eine Unterkunft angeboten worden war, denn vor ihrer Abreise hatte Mavis ihr erzählt, Ellen habe nur eine einzige richtige Verabredung mit Pierre, dem Trapezkünstler, gehabt, und zwar hier, bei der Burg.
Sie spazierte daran vorbei und dann ein Stück am Fluss entlang und fragte sich, ob sie hier, vielleicht irgendwo im hohen Gras, gezeugt worden war. Sie musste unwillkürlich lächeln. Wenn Joel mit ihr hierher ginge, würde sie auch nichts gegen eine kleine Balgerei im Gras einzuwenden haben.
Der Gedanke an Joel stimmte sie traurig. Sie fühlte, dass es so gut wie vorbei war. Anscheinend hatte sie ihn doch nicht so gut gekannt, wie sie geglaubt hatte. Er hatte auf ihre Pläne, Ellen zu suchen, so abweisend reagiert, als könnte er nicht begreifen, was es für sie bedeutete. »Nach Strohhalmen greifen«, hatte er es genannt.
Daisy seufzte. Nach ihrer Rückkehr würde alles nur noch schwieriger werden. Selbst in ihren wildesten Träumen hätte sie nicht damit gerechnet, so viele faszinierende Informationen zu erhalten, und sie wusste, jetzt würde sie keine Ruhe mehr finden. Joel aber würde das absolut nicht gefallen. Eigentlich hätte sie ihn längst anrufen sollen, doch er würde ihr nur einen Dämpfer versetzen, und darauf konnte sie verzichten.
Sie setzte sich auf eine Bank und ließ Fred im Gebüsch herumstöbern. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie ganz auf sich allein gestellt. Daisy war der Typ, der nichts allein tun wollte und bei dem Gedanken, längere Zeit allein sein zu müssen, sogar regelrecht in Panik geriet. Angesichts dessen, was Ellen und Josie durchgemacht hatten, erschien ihr das rückblickend ziemlich jämmerlich.
Doch jetzt genoss sie das Alleinsein, das Gefühl der Unabhängigkeit. Sie verspürte nicht das geringste Verlangen, zur nächsten Telefonzelle zu laufen und ihre Entdeckungen mit jemandem zu teilen. Vielleicht war das ein Zeichen dafür, dass sie endlich erwachsen wurde. Sie brauchte Zeit, ihre Gefühle zu sortieren, alle Informationen auszuwerten und den nächsten Schritt zu planen.
Sie beobachtete eine Jacht, die Richtung Falmouth segelte. Auf der trichterförmigen Flussmündung wirkte sie winzig klein. Die Segel waren vom Wind geschwellt, der Skipper lehnte sich weit hinaus, um das Boot auf Kurs zu halten. Daisy wusste von ihrem Vater, dass Wind allein nicht genügte, um das gewünschte Ziel anzusteuern. Beim Segeln musste man oft geduldig kreuzen.
Bei ihrer Suche nach Ellen würde es ihr nicht anders ergehen. Sie würde Rückschläge in Kauf nehmen müssen. Aber sie würde nicht aufgeben, niemals. Falls Joel sie auf diesem Weg begleiten wollte, umso besser. Und falls nicht – auch gut.
Um neun Uhr am nächsten Morgen traf Daisy in Falmouth ein. Es war kälter geworden, und für den Nachmittag war Regen angekündigt worden. Daisy hatte keinen Termin bei dem Anwalt, doch wenn er keine Zeit für sie hätte, würde sie eben ein wenig durch die Stadt bummeln.
»Ich möchte zu Mr. Briggs«, erklärte sie der Vorzimmerdame der Anwaltskanzlei Briggs, Mayhew und Pointer. »Ich bin nur ein paar Tage in Cornwall, deshalb konnte ich leider keinen Termin vereinbaren. Aber es ist wirklich dringend.«
Ich hätte Fred besser nicht mitnehmen sollen, dachte sie. Und in der wattierten Jacke und den Jeans sah sie wie eine Anhalterin aus. Doch sie schenkte der Frau, die sie hinter
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