Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
richtiges Glamourgirl geworden war. Das mochte nicht unbedingt moralisch sein, doch in der Film- und Musikindustrie wimmelte es nur so von unbegabten Leuten, die alle durch gezielten Medienrummel zum Star gemacht worden waren. Sie hätte nichts dagegen, wenn jemand das mit ihr versuchte.
Über einen Artikel amüsierte sie sich besonders. Josie hatte sich in der Carnaby Street neu eingekleidet und war in verschiedenen Outfits, wie sie in den Sechzigerjahren schick waren, fotografiert worden, darunter auch einem Minifuchspelzmantel und langen, engen Stiefeln. Dazu wurde sie mit Bemerkungen wie: »Wow, das ist einfach dufte«, »Ich komm mir richtig toll vor« und »Einfach irre, wenn ich daran denke, dass ich vor ein paar Monaten noch Kühe gemolken habe« zitiert.
»Da hab ich mit dem Sammeln aufgehört«, bemerkte Mavis, als Daisy umblätterte und nur noch leere Seiten vorfand. »Ich konnte ihren Anblick nicht mehr ertragen, nach allem, was sie ihren Eltern angetan hatte. Natürlich war es kein Bilderbuch-Zuhause gewesen, aber die Hölle war es auch nicht. Albert begann, sich noch mehr abzukapseln und daheim zu trinken, was er nie getan hatte, und Violet ... Ach, wie oft hat sie hier, in diesem Zimmer, gesessen und sich die Augen rot geweint! Sympathisch war mir diese Frau nicht, doch ich weiß, wie sehr sie an ihrer Tochter gehangen hat.«
»Wusste Josie, was gespielt wurde?«, fragte Daisy. »Ich meine, sie war erst fünfzehn. War ihr überhaupt klar, was für ein mieses Spiel die Zeitungen trieben?«
»Ellen hat das immer bestritten, aber sie war sehr naiv, was Josie betraf. Wie auch immer, es war nicht richtig, dass sie ihren Eltern nicht gesagt hat, wo sie sich aufhält. Und es war auch nicht richtig, wie sie sie später behandelt hat.«
»Kam sie irgendwann wieder hierher?«
»Erst viel später. Wir sahen ihr Gesicht in jeder Illustrierten, jeder Zeitung. Sie warb für Shampoo, Brautmoden, Bademoden, für alles. Und sie sah wunderschön aus. Aber niemand hier war richtig stolz auf sie, weil wir alle mit Albert und Violet fühlten.«
»Aber sie scheint sich ja mit ihnen versöhnt zu haben, sonst wäre sie in der Nacht, als das Feuer ausbrach, nicht auf der Farm gewesen«, gab Daisy zu bedenken.
»Ich weiß nicht, ob man von einer Versöhnung sprechen kann«, widersprach Mavis nachdenklich. »Sie kam gelegentlich her und hat furchtbar angegeben. Aber meistens endeten diese Besuche im Streit, weil sie sich so abfällig über die Farm und das Landleben äußerte.«
»Und wann fing sie an, Drogen zu nehmen?«
»Als sie zu modeln begann«, antwortete Tim. »Damals hat in diesen Kreisen jeder Drogen genommen, das gehörte eben dazu. Außerdem muss dieser Kinsale sie gnadenlos vermarktet und alles aus ihr rausgeholt haben. Nach der Trennung von ihm wurde es dann ganz schlimm: Sie verlor jeglichen Halt und rutschte vollends ab.«
»War er ihr Liebhaber?« Daisy hatte ein Foto von ihm in einem der Zeitungsausschnitte entdeckt und fand, er sah mit seinem Pferdeschwanz und dem Rüschenhemd irgendwie fies aus – wie ein alternder Rockstar-Verschnitt aus den Sechzigern.
»Ja, ich vermute, von Anfang an«, erwiderte Mavis. »Dabei hätte er ihr Vater sein können! Aber das geht mich nichts an. Violet ist ihm einmal begegnet. Sie fuhr nach London, als Josie die Grippe hatte, und blieb ein paar Tage bei ihr in Chelsea. Kinsale kam und warf sie raus.«
Daisy zog die Augenbrauen hoch.
»So hat Violet es erzählt, doch ich habe immer den Verdacht gehabt, dass es Josie war, die sie weggeschickt hat«, fuhr Mavis ernst fort. »Das war zu jener Zeit, als sie richtig groß rauskam. Heute New York, morgen Südfrankreich. Immer an Kinsales Seite. Nach der Trennung ist er ihr Fotograf geblieben; ich nehme an, er hat einen Haufen Geld mit ihr verdient, aber sie hatten nichts mehr miteinander, wie man so schön sagt. Danach konnte man fast täglich in den Klatschspalten lesen, welcher Rockstar oder Schauspieler gerade als ihr ständiger Begleiter galt.«
»Und wie war Ellens Verhältnis zu ihr zu jener Zeit?«, wollte Daisy wissen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein berühmtes Model sich mit einem stillen Mädchen wie Ellen, das mit behinderten Kindern arbeitete, abgeben wollte, selbst wenn es sich dabei um die eigene Schwester handelte.
»Ellens Wohnung in Bristol war ihr Schlupfwinkel«, erklärte Mavis. »Sie hat sich dort nur sehen lassen, wenn sie etwas von ihr wollte. Erst nachdem sie den Boden unter den
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