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Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)

Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)

Titel: Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: LESLEY PEARSE
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bei den billigen Röcken aus der Form gingen, nachdem sie ein paarmal gewaschen worden waren. Die rote, handgestrickte Wolljacke passte perfekt zum Rock, die Bluse, die sie darunter trug, war mit einem spitzenbesetzten Kragen verziert. Ihre Kniestrümpfe waren blütenweiß und die Spangenschuhe aus Lackleder. Sie war blond und blauäugig und strotzte geradezu vor Selbstbewusstsein. Nur wenigen fielen der schmale, boshafte Mund und die spitze Nase auf.
    Ellen schaute dagegen wie ein zerlumptes Gassenkind aus. Ihr roter Lockenkopf sah selten eine Bürste, das graue Schürzenkleid hatte am Saum einen schludrig genähten Flicken, ihr Pullover war verfilzt, und seine ursprünglich hellgelbe Farbe war zu einem schmutzigen Elfenbeinton verblasst. Sie trug Turnschuhe, und ihre ausgeleierten Söckchen schlotterten ihr um die Knöchel.
    Ellen war bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt, weil sie ein liebenswertes Ding war und gleichsam von innen heraus zu strahlen schien. Ihre Lehrerin, Mrs. Palstow, sagte, sie sei eine Schülerin, wie man sie sich wünschte: mit Begeisterung bei der Sache und lernbegierig. Kaum jemand achtete auf ihre abgetragenen Sachen – sie war eben eine Farmerstochter, und es gab nicht viele Eltern in der Gegend, die ihre Kinder wie die Trevoises ausstaffieren konnten.
    »Wenn hier einer verrückt ist, dann du, Sally«, rief eins der älteren Mädchen. »Ich hab Ellens Mum doch heut Morgen noch gesehen. Oder glaubst du, das war ein Geist?«
    Sally straffte die Schultern und verschränkte herausfordernd die Arme. »Wisst ihr das denn nicht?« Sie ließ den Blick über ihr Publikum schweifen. »Das ist nicht ihre richtige Mum. Die hat sich mit Mr. Pengelly eingelassen, nachdem Ellens Mum sich umgebracht hat. Und ihr Baby hat sie auch umgebracht.«
    Die Kinder schnappten hörbar nach Luft. Sogar die Jungs hörten jetzt auf, Fangen und Bockspringen zu spielen, und kamen näher, weil sie merkten, dass sie offensichtlich etwas Aufregendes verpassten. »Ich hab gehört, wie meine Mum und mein Dad darüber sprachen«, fuhr Sally stolz fort. »Sie haben gesagt, Ellens Mum sei nicht ganz richtig im Kopf gewesen, und wenn sie sich nicht von den Felsen gestürzt hätte, wäre sie in die Klapsmühle gekommen.«
    Da bahnte sich Josie Pengelly einen Weg durch die Menge. Sie war zweieinhalb Jahre jünger und fünf Zentimeter kleiner als ihre Schwester, glich ihr aber wie ein Ei dem anderen.
    »Du lügst!«, schrie sie Sally an. »Was du da gesagt hast, werd ich meinem Dad erzählen, und dann wird er deinen Dad verhauen, damit du’s nur weißt!«
    »Halt doch die Klappe, blöde Gans«, gab Sally zurück. »Du kannst gar nicht mitreden, du warst da noch nicht mal auf der Welt. Ellen ist ja nicht einmal deine richtige Schwester.«
    »Natürlich ist sie das!«, rief Josie und stürzte sich auf Sally. »Du gemeine, verlogene, eingebildete Kuh!«
    In diesem Moment trat Mrs. Palstow auf den Schulhof. Sie hatte vom Lehrerzimmer aus beobachtet, dass etwas im Gange war, und angenommen, Ellen habe sich an Sally für ihr beschmiertes Bild gerächt. Als sie Sallys blau gesprenkelte Zöpfe sah, wusste sie, sie hatte richtig vermutet. Sie setzte die Trillerpfeife an die Lippen.
    Die Kinder stellten sich in einer Reihe auf und trabten im Gänsemarsch zurück in ihre Klassenzimmer. Nur Ellen stand noch immer da wie vom Donner gerührt.
    »Geh und wasch dir die Hände, Ellen«, sagte Mrs. Palstow. Sie dachte, das Mädchen traue sich aus Angst vor Strafe nicht herein. »Farbe in Sallys Haar zu schmieren, war keine gute Idee. Ihre Mutter wird bestimmt böse auf dich sein. Aber ich habe gesehen, was Sally mit deinem Bild gemacht hat, und das werde ich Mrs. Trevoise auch erzählen.«
    Ellen antwortete nicht. Sie rannte ins Schulhaus und lief in den Garderobenraum. Mrs. Palstow, die in Gedanken schon bei der Geschichte war, die sie ihrer Klasse vorlesen wollte, ging in ihr Klassenzimmer.
    Ellen hielt die Hände unter das fließende Wasser. Sie musste unentwegt an Sallys Worte denken. Sie wünschte sich, sie könnte sie einfach als dummes Gerede abtun und ihr ins Gesicht lachen, aber sie fühlte, dass Sally wirklich etwas aufgeschnappt haben musste. Konnte das, was sie gesagt hatte, tatsächlich wahr sein?
    Ihre Finger wurden taub vom kalten Wasser, aber sie spürte es nicht. Im Geist sah sie eine Frau mit einem Baby in den Armen von einem Kliff springen. Das war unmöglich – Mütter beschützten ihre Babys doch. Sie konnte sich

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