Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
sich die Ärzte mit ihrer Prognose geirrt haben und wir in ein paar Jahren gemeinsam den Inhalt durchgehen und darüber lachen werden.
Falls uns das nicht vergönnt sein sollte, so hoffe ich, dass diese Erinnerungen dich trösten werden. Ich habe sie mit viel Liebe zusammengetragen. Meine Notizen finde ich im Nachhinein zwar ein bisschen peinlich, aber sie spiegeln wider, was ich seinerzeit fühlte.
Kein Kind ist jemals mehr geliebt worden als du. Mir schnürt es heute noch die Kehle zu, wenn ich an das unbeschreibliche Glücksgefühl denke, das dein Vater und ich empfanden, als wir dich zum ersten Mal in den Armen hielten. Ich denke, dieses Glücksgefühl war auch der Grund dafür, dass ich fünf Jahre später die Zwillinge empfing, obwohl die Ärzte mich für unfruchtbar erklärt hatten.
Du hast nach Jahren der Enttäuschung Freude in unser Leben gebracht, und wir sind immer so stolz auf dich gewesen. Lass die Verbindung zu den Zwillingen nicht abreißen – die Bande einer gemeinsamen Kindheit sind genauso stark wie Blutsbande. Ich wünsche dir so viel Glück und Freude in deinem Leben, wie ich in meinem hatte. Ich bedauere lediglich, dass ich meine Enkelkinder nicht mehr kennen lernen werde.
Der beiliegende Scheck ist für dich, das Geld ist ein Teil der Summe, die mir mein Vater hinterlassen hat. Auch er starb, ohne seine Enkelkinder zu sehen, und das Geld für dich, Lucy und Tom beiseite zu legen, war meine Art, ihm meinen Respekt zu bezeugen. Gib es mit Bedacht aus, mein Liebling.
Ein endgültiger Abschied ist nicht der richtige Zeitpunkt für Ermahnungen, davon hast du in der Vergangenheit genug von mir bekommen. Deshalb möchte ich dir zum Schluss nur noch einmal sagen, dass ich dich liebe und dass ich über dich wachen werde.
Alles Liebe, Mummy.
Von einem Weinkrampf geschüttelt, las Daisy den Brief dreimal. Ihr mit diesen geschriebenen Worten etwas zu geben, an das sie sich klammern konnte, war so typisch für ihre kluge, vorausblickende Mutter gewesen. Sie hatte an Daisy gedacht, obwohl sie zu dem Zeitpunkt der Niederschrift schreckliche Angst um sich selbst gehabt haben musste.
Was für eine unglaublich tapfere, bewundernswerte Frau sie doch gewesen war, voller Mitgefühl für andere und einem unbezähmbaren Willen. Daisy wusste, sie würde sich ihrer unerschrockenen, herzensguten Mutter als würdig erweisen und ihr Vertrauen in sie rechtfertigen müssen. Es war Zeit, ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.
Später studierte Daisy noch einmal das Foto der beiden kleinen Mädchen. Ellen dürfte ungefähr acht gewesen sein und ihre Halbschwester sechs. Sie standen unter einem Baum, jede hatte den Arm um die Schultern der anderen gelegt und lächelte. Das Foto war ganz zerknittert, Ellen schien es lange mit sich herumgetragen zu haben, bevor sie es ihrer Mum geschickt hatte. Warum hatte sie so ein altes Bild ausgesucht? Hatte es eine besondere Bewandtnis damit?
Daisy dachte lange darüber nach. Die meisten Leute würden ein neueres, schmeichelhaftes Foto von sich schicken, vor allem, wenn sie in Ellens Situation wären und einen guten Eindruck zu machen hofften. Aus irgendeinem Grund musste dieses Foto sehr wichtig für sie gewesen sein. Aber aus welchem?
3. Kapitel
Cornwall, 1955
D u bist ja verrückt, Ellen Pengelly, genau wie deine Mum«, schrie Sally Trevoise so laut, dass sie die sechzig lärmenden Kinder übertönte, die auf dem kleinen Schulhof der Grundschule von Mawnan Smith herumtobten. »Warum springst du nicht auch von einem Kliff so wie sie?«
Der Streit zwischen den beiden Achtjährigen hatte wenige Minuten zuvor im Zeichenunterricht, wo sie ihre Staffeleien nebeneinander aufgestellt hatten, begonnen, als Sally zwei große schwarze Striche quer über Ellens Bild gemalt hatte. Ellen zahlte es ihr heim, indem sie ihr in der Pause blaue Farbe in die Zöpfe schmierte.
Auf dem Spielplatz wurde es totenstill. Die anderen Kinder starrten Sally genauso fassungslos an wie Ellen. Schweigend bildeten sie einen Kreis um die beiden Mädchen, weil sie dachten, gleich würden sie sich prügeln.
Aber Ellen stand nur da und sah Sally völlig verwirrt an. Warum sagte sie so etwas? Ihre Mutter war daheim auf der Farm, so wie immer.
Sallys Eltern gehörte der Lebensmittelladen im Dorf, und man konnte ihr ansehen, dass sie, gemessen an den hiesigen Verhältnissen, reich waren. Sie trug einen Faltenrock, der ihr elegant um die Beine schwang, weil die Falten schön tief waren und nicht wie
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