Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Spielwarenhandlung steht. Für gemeinsame Unternehmungen fehlten ihr die Freundinnen. Die Mädchen, mit denen sie arbeitete, waren alle älter, schneller, hübscher und hatten Ausstrahlung. Violet war viel zu schüchtern, um auch nur den Versuch zu unternehmen, sich mit ihnen anzufreunden.
Als sie siebzehn wurde, brach der Krieg aus, und alles änderte sich. Die älteren, gewandteren Mädchen kündigten und suchten sich bessere Stellen in der Kriegsindustrie. Junge Mädchen vom Land, wie Violet eins war, nahmen ihre Plätze ein. Unter diesen Jungen war Violet plötzlich die Ältere, Erfahrene. Das half ihr, ihre Schüchternheit zu überwinden, und bald schloss sie sich den anderen an, wenn sie abends tanzen gingen.
Sie hatte das Gefühl, aus einem Kokon geschlüpft zu sein, wenn sie in einem hübschen Kleid und mit geschminktem Gesicht in den Armen eines Mannes unter funkelnden Lichtern über die Tanzfläche wirbelte. In eine Schönheit hatte sie sich zwar nicht verwandelt, dennoch hatte sie etwas Besonderes, das die Seeleute anzog. Es kam ihr nie in den Sinn, dass sie nur deshalb so begehrt war, weil zu wenig Mädchen verfügbar waren oder weil die Männer hofften, sie ins Bett zu bekommen, wenn sie ihr versicherten, sie liebten sie. Violet glaubte ihren Versprechungen, ihr zu schreiben und zu ihr zurückzukommen. Hatte sie dann eine Weile vergebens auf einen Brief gewartet, tröstete sie sich mit dem nächsten Mann und war fest davon überzeugt, dieses Mal würden die Hochzeitsglocken für sie läuten.
Bei Kriegsende neunzehnhundertfünfundvierzig war sie dreiundzwanzig und um etliche Illusionen ärmer. Dutzende ehemaliger Arbeitskolleginnen hatten geheiratet oder waren verlobt, und die wenigen, die noch ledig waren, hatten sich beruflich verbessert. Violet dagegen arbeitete immer noch in der Küche. War sie bisher nur unscheinbar gewesen, so wurde sie jetzt auch noch dick. Am meisten deprimierte sie jedoch die Erkenntnis, von den Männern nur ausgenutzt worden zu sein. Sie galt als eine, die leicht herumzukriegen war, und hinter ihrem Rücken lachte man über sie.
Obwohl die Kriegsjahre durch die Bombardierungen, die Lebensmittelrationierung und den allgemeinen Mangel eine schwere Zeit gewesen waren, hatte im Hotel, wo die Frauen von Truppenangehörigen, Offiziere und Geschäftsleute abstiegen, immer Hochbetrieb geherrscht. Nach dem Jahreswechsel neunzehnhundertfünfundvierzig/-sechsundvierzig wurde es jedoch Besorgnis erregend ruhig. Kaum jemand zog es in ein Hotel in der Stadtmitte, noch dazu in eines, das mittlerweile ziemlich heruntergekommen war.
Violet wurde als eine der Ersten entlassen, und das, obwohl sie zu den ältesten und zuverlässigsten Mitarbeitern gehörte. Nach Helston zurückzukehren, kam nicht infrage. Also schlug sie sich mit schlecht bezahlten Jobs in Cafés und Restaurants durch. Nachdem sie ein halbes Jahr ein Hundeleben geführt, tagsüber wie ein Kuli geschuftet und einsame Nächte in ihrem Zimmer verbracht hatte, beschloss sie, Plymouth den Rücken zu kehren und ihr Glück in Falmouth zu versuchen.
In Cornwall ging es ihr rasch besser. Hier wurde sie nicht ständig von Heerscharen attraktiver, lebenslustiger, lediger Mädchen an ihre Minderwertigkeit erinnert, hier wusste auch niemand etwas von ihrem zweifelhaften Ruf. Nach dem Irrsinn des Kriegs sehnten sich die Menschen nach Ferien an einem ruhigen, idyllischen Ort. Hotels und Kneipen florierten, und Violet fand eine Stelle in einem Pub am Hafen mit Gästezimmern im ersten Stock. Sie erledigte alle niederen Arbeiten, angefangen vom Putzen, Wäschewaschen und Kochen bis zum Bedienen hinter der Bar. Sie nahm es hin, auch wenn sie nicht gerade glücklich darüber war.
Neunzehnhundertachtundvierzig verbreitete sich die schreckliche Nachricht von Clare Pengellys Selbstmord. Violet, die zu dem Zeitpunkt seit über zwei Jahren in Falmouth lebte, hatte vom ersten Augenblick an eine Schwäche für Albert Pengelly gehabt. Er war schlank und muskulös und mit seinem langen, lockigen roten Haar so ganz anders als andere Männer. Wie viele Frauen fand sie ihn attraktiv und sexy. Sie leistete ihm Gesellschaft, wenn er im Pub saß, und lauschte gebannt der Geschichte von dem Skandal, der Falmouth neunzehnhundertvierundvierzig erschüttert hatte.
Clares Vater, Rupert Soames, war ein bekannter Londoner Rechtsanwalt. Er hatte vier Söhne und eine Tochter: Clare. Die Soames’ wohnten zwar in London, verbrachten ihren Urlaub aber meist in ihrem
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