Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
waberte die heiße Luft. Die Mädchen tobten ausgelassen wie kleine Kinder, tauchten und packten sich gegenseitig an den Beinen, kletterten einander auf den Rücken und lieferten sich wilde Wasserschlachten. Später, als sie im glühend heißen Sand lagen und nur noch die Zehen ins Wasser ragten, sprachen sie zum ersten Mal über ihre Gefühle für ihre Eltern.
»Es ist Mum, die alles kaputtmacht«, gab Josie zu. »Früher hab ich immer gedacht, sie ist so, weil Dad gemein zu ihr ist, aber jetzt, da sie fort ist, ist mir klar geworden, an wem es liegt.«
»Wahrscheinlich kann sie nichts dafür«, meinte Ellen. Sie war so glücklich, dass der alte Groll vergessen war. »Ein Leben als Farmersfrau ist nichts für sie. Sie hat Dad bestimmt geheiratet, weil sie dachte, sie könnte ihn und seine Art zu leben ändern.«
»Neulich hat sie zu mir gesagt, sie spürt immer noch den Geist deiner Mutter im Haus.« Josie kicherte. »Spricht Dad manchmal mit dir über sie?«
»Nein, nie.« Ellen erzählte ihr von der Reaktion ihres Vaters an dem Tag, als sie herausgefunden hatte, dass Violet ihre Stiefmutter war. »Ich weiß nicht mal, wo sie beerdigt ist.«
»Was?« Josie sah sie überrascht an. »Sie liegt hier auf dem Friedhof. Das heißt, nicht direkt auf dem Friedhof, sondern daneben. Mum hat mir erzählt, sie habe nicht in geweihter Erde begraben werden dürfen, weil sie sich das Leben genommen hat.«
»Warum sagst du mir das jetzt erst?« Der Gedanke, dass jemand in ungeweihter Erde lag, war schlimm, aber noch schlimmer war, dass ihre Schwester es gewusst hatte und sie nicht.
»Mum hat mir verboten, mit dir darüber zu reden«, antwortete Josie zerknirscht. »Da hab ich mich nicht getraut, es zu erwähnen. Es tut mir Leid, aber ich dachte, du hättest es inzwischen selbst herausgefunden.«
»Lass nicht zu, dass Mum sich zwischen uns drängt. Bestimmt ist Dad deshalb manchmal so eklig zu dir: Er weiß, wie gemein sie zu mir ist. Wenn wir zusammenhalten, hört das vielleicht auf.«
Josie nickte. »Wünschst du dir nicht auch, wir hätten ganz normale Eltern und wohnten in einem ganz normalen Haus und so?«
Ellen hatte sich das schon tausend Mal gewünscht, besonders früher, als sie noch keine Elektrizität und nur eine Außentoilette gehabt hatten. Wie oft betrachtete sie sehnsüchtig die modernen Häuser in Falmouth mit ihren gepflegten Gärten und den weißen Gardinen hinter den Fenstern und träumte von den Annehmlichkeiten, die für andere Kinder selbstverständlich waren. Doch dafür hatten Josie und sie viele Dinge, um die sie von Gleichaltrigen beneidet wurden: diesen Strand zum Beispiel, die Tiere, den Wald und die Steilküste. Mussten Fernseher, Plattenspieler und ein blitzsauberes Zuhause auf Dauer nicht furchtbar langweilig sein?
»Manchmal schon«, gestand sie, »aber wir haben nun mal keine normalen Eltern, und das ist nicht zu ändern. Du und ich, Josie, wir werden es allen zeigen. Du wirst ein berühmtes Model werden und ich ...« Sie verstummte abrupt, als ihr bewusst wurde, dass sie eigentlich keine Ahnung hatte, was sie einmal werden wollte.
»Und du?«, drängte Josie. »Was willst du später einmal machen?«
»Ich weiß nicht genau, vielleicht unterrichten oder so was in der Art.«
»Du musst es dir ganz fest wünschen, dann schaffst du es auch. Ich stell mir jeden Abend vor dem Einschlafen vor, dass ich ein Model bin und über einen Laufsteg gehe.«
Ein behagliches Schweigen entstand. Sie ließen sich von der Sonne rösten und hingen ihren Gedanken nach. Es bedrückte Ellen ein wenig, dass sie keine klare Vorstellung von ihrer Zukunft hatte. Es kam ihr so vor, als wäre nach dem September, wenn sie in die Abschlussklasse käme, alles in Dunkel gehüllt.
Untergehakt schlenderten sie zur Farm zurück und sangen aus voller Kehle I Like It von Gerry and the Pacemakers.
Plötzlich verstummte Josie. Sie stieß Ellen an und murmelte: »Guck mal. Was ist denn das für ein Auto?«
»Keine Ahnung.« Auf dem Feldweg, der von der Straße zum Haus führte, stand eine hellgraue Limousine. »Hab ich noch nie gesehen.«
Neugierig geworden, setzten sie sich in Trab. Am Gartenzaun vor dem Haus blieben sie wie angewurzelt stehen. In der offenen Haustür stand ihre Mutter.
Ellen schnappte erschrocken nach Luft. »O nein.«
Josie sagte nichts, wurde aber schneeweiß im Gesicht.
»So sieht das hier also aus, wenn ich nicht da bin«, rief Violet, als die Mädchen zum Gartentor hereinkamen. »Schwimmen
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