Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Violet schrie auf. Dann hörte es sich an, als würden Möbelstücke umgeworfen. Offenbar prügelten die beiden Männer sich.
»Was soll ich bloß machen?«, fragte Josie. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Ellen. Sie fürchtete, ihr bärenstarker Vater könnte Violets Bruder ernsthaft verletzen und dafür angezeigt werden. Am meisten schockierte sie Violets Bemerkung, sie traue es Albert zu, sich an Josie zu vergehen. Ellen wusste sehr gut, was damit gemeint war: Erst vor ein paar Monaten war ein Vater aus Padstow zu einer Haftstrafe verurteilt worden, weil er seine Tochter vergewaltigt hatte. Das hatte wochenlang für Gesprächsstoff gesorgt.
»Glaubst du, Dad würde das wirklich mit mir machen?«, fragte Josie kläglich und begann zu weinen.
»Natürlich nicht«, erwiderte Ellen. »Mum will doch bloß ihren Bruder gegen ihn aufhetzen. Für diese Bösartigkeit hätte sie eine anständige Tracht Prügel verdient.«
Josie antwortete nicht. Langsam ging sie zum Haus zurück, und Ellen wurde schmerzlich bewusst, dass ihre in den vergangenen Wochen aufgebaute neue Vertrautheit mit einem Schlag zerstört worden war. Wieder einmal hatte ihre Stiefmutter einen Keil zwischen sie getrieben.
Ellen wünschte, sie hätte den Mund gehalten. Nach ein paar Minuten folgte sie Josie. Ihr Vater könnte vielleicht Beistand gebrauchen.
Brian hockte zusammengesunken auf einem Stuhl vor dem Haus und presste ein blutiges Taschentuch auf den Mund. Albert war nirgends zu sehen, aber man konnte hören, wie Josie und Violet im oberen Stock Schubladen aufrissen und wieder zuknallten.
Ellen rannte panisch zur Scheune hinüber. Ihr Vater saß auf einer Kiste und rieb sich die aufgeschürften Knöchel. »Will sie dich etwa für immer verlassen?« Ihrer Stiefmutter würde sie keine Träne nachweinen, aber der Gedanke, Josie zu verlieren, schmerzte.
»Das wäre zu schön, um wahr zu sein«, erwiderte ihr Vater mürrisch. »Sie wird zurückkommen, aber dann wird sie Josie schon zu Grunde gerichtet haben.«
»Das darfst du nicht zulassen«, flehte Ellen.
Er sah sie verstört an. Seine dunklen Augen flackerten. »Ich kann sie nicht aufhalten«, bekannte er mit brüchiger Stimme. »Ich habs versucht. Aber sie hat mich so wütend gemacht, dass ich sie und ihren Bruder geschlagen habe, und jetzt hat sie mich in der Hand.«
Ellen verstand, was er damit meinte. Violet könnte ihn jederzeit anzeigen – das Recht war auf ihrer Seite. »Bitte sprich mit Josie, bevor Mum sie mitnimmt«, bat sie. »Sie darf nicht denken, dass sie dir gleichgültig ist.«
Ihr Vater erwiderte nichts und machte auch keine Anstalten aufzustehen. Da drehte sich Ellen um und lief aus der Scheune. Ihre Stiefmutter lud ein paar Taschen in den Kofferraum, Brian saß bereits hinter dem Steuer, und Josie, das Gesicht tränenüberströmt, trat gerade aus dem Haus.
Ellen fasste sie an den Armen. »Dad und ich wollen, dass du hier bleibst. Bei uns.«
»Mach es nicht noch schlimmer«, bat Josie. Sie wand sich aus Ellens Griff und rieb sich schniefend über die Augen.
»Steig ein, Josie«, befahl ihre Mutter.
»Gib nicht Dad und mir die Schuld daran«, flüsterte Ellen, damit ihre Stiefmutter sie nicht hören konnte. »Vergiss nicht, dass wir uns heute etwas versprochen haben: Wir werden nicht zulassen, dass sie sich zwischen uns drängt.«
Josie zuckte mit den Schultern, aber Ellen konnte nicht erkennen, ob aus Resignation oder aus Gleichgültigkeit. Dann stieg sie in den Fond der grauen Limousine. Der Wagen fuhr an und donnerte über den Feldweg zur Straße hinauf. Josie drehte sich nicht mehr um. Sie winkte nicht einmal zum Abschied.
5. Kapitel
A ls Albert zum Frühstück herunterkam, stellte Ellen einen Teller Spiegeleier mit Speck vor ihn hin.
»Und du?«, fragte er.
»Ich hab keinen Hunger«, meinte sie. »Mir reicht eine Tasse Tee.«
Es war Anfang August. Josie war seit zwei Wochen fort. Der Tag versprach heiß und schön zu werden, was am Strandkiosk für viel Betrieb sorgen würde.
»Stimmt was nicht?« Albert fand, seine Tochter sah ein bisschen blass aus. Außerdem liebte sie normalerweise ein herzhaftes Frühstück. »Gefällt dir dein Job nicht?«
»Doch, doch«, antwortete sie. Ihre Stimme klang matt. »Josie fehlt mir, das ist alles.«
Sie hatte eine rüde Antwort erwartet, doch stattdessen bekannte er: »Mir auch, es ist so leer hier ohne sie.« Er warf einen flüchtigen Seitenblick auf den freien Platz am
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