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Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)

Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)

Titel: Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: LESLEY PEARSE
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gewesen, mit ihrem Vater gesehen zu werden, doch jetzt schämte sie sich für ihn, weil er in seiner Arbeitskleidung wie ein Landstreicher wirkte.
    »Sie stammte aus einer vermögenden Familie, weißt du?«, fuhr er fort. »Dort oben hat sie gewohnt.« Er zeigte zu den Häusern am Hang neben dem See auf der anderen Straßenseite. »Wenn du möchtest, gehen wir hin, und ich zeig dir, wo.«
    »Nein. Ein andermal. Ich will nach Hause«, erwiderte Ellen. Sie sprang auf und ging zum Lastwagen.
    An diesem Abend stand Ellen in der kleinen Bucht und beobachtete den Sonnenuntergang. Sie bereute bitter, wie sie sich ihrem Vater gegenüber benommen hatte. Er hatte auf der Heimfahrt kein Wort gesprochen, war ausgestiegen und gleich wieder auf den Kartoffelacker marschiert.
    Ellen wusste, sie hatte ihn tief gekränkt. Warum war es ihr peinlich gewesen, mit ihrem eigenen Vater gesehen zu werden? Das war einfach abscheulich! Sie hatte sich seiner noch nie geschämt.
    Tränen kullerten ihr über die Wangen. In ihrem Innern, wo früher immer Ordnung und Gewissheit gewesen waren, herrschte ein einziges Chaos. War die Liebe schuld daran? Brachte sie die Menschen dazu, sich gegen die eigene Familie zu stellen? War ihrer Mutter das Gleiche passiert, als sie einen Mann heiratete, den ihre Eltern missbilligten?
    Das Traurigste aber war, dass sie nun nie die ganze Geschichte erfahren würde. Ihr Vater war allein ihretwegen in die Stadt gekommen. Das war seine Art, ihr seine Zuneigung zu zeigen. Aber sie hatte ihn zurückgewiesen. Sie kannte ihn: Jetzt würde er wochenlang in dumpfes Schweigen versinken. Nicht einmal eine Entschuldigung würde etwas daran ändern. Und was hätte sie zu ihrer Entschuldigung schon anführen können?
    Obwohl Ellen am anderen Morgen nicht zur Arbeit musste, stand sie früh auf und half ihrem Vater beim Melken. Er nickte ihr wortlos zu. Sie hockte sich auf den Melkschemel, lehnte die Stirn an die Flanke der Kuh und weinte noch ein bisschen.
    Das Frühstück nahmen sie schweigend ein. Ellen spülte das Geschirr und ging dann auf den Kartoffelacker hinaus, wo Albert mit dem Traktor die letzten Reihen umgrub. Sie nahm einen Sack vom Stapel und begann, die Kartoffeln aufzulesen. Zwei Stunden später richtete sie sich mit schmerzendem Rücken auf und beobachtete ihren Vater. Er hatte am andern Ende der nächsten Furche mit dem Einsammeln angefangen und arbeitete so schnell, dass er wie ein Roboter wirkte. Ellens Mitleid schlug plötzlich in Groll um. Sie hatte viele Male erlebt, wie er Violet und auch Josie auf diese Art und Weise mit Verachtung gestraft hatte. Falls er das mit ihr auch versuchte, so würde sie ihn einfach ignorieren.
    »Ich fahr schnell in die Stadt, ich will in die Bücherei«, rief sie. »Soll ich dir vorher noch Tee kochen?«
    »Ja«, antwortete er. »Wie viele Säcke hast du?«
    »Fünf. Ich kann nicht mehr, mein Rücken tut so weh.«
    Keine Antwort, kein Lob für ihren Fleiß, kein bedauerndes Wort wegen des schmerzenden Rückens. Sollte er sich seinen Tee doch selbst kochen! Und ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn die Arbeit allein machen ließ, während sie mit dem Rad zum Zirkus fuhr, hatte sie auch nicht.
    Ein Kleid oder einen Rock konnte sie aufs Fahrrad nicht anziehen – blieben nur ihre Shorts oder eine fadenscheinige Hose. Die Shorts gewannen. Sie waren zwar genauso abgetragen wie die Hose, passten aber wie angegossen und brachten ihre hübschen gebräunten Beine zur Geltung. In ärmelloser Bluse, Turnschuhen und mit Pferdeschwanz sah sie freilich nicht so schick aus wie in dem cremefarbenen Kleid. Doch Pierre sollte auch nicht den Eindruck bekommen, dass sie ihn sich angeln wollte.
    Sie vergaß ihren Vater und dachte bloß noch an das Wiedersehen mit Pierre. Sie hatte außer einem Buch aus der Bücherei ihren Badeanzug und ein Handtuch in den Fahrradkorb gepackt und hoffte, sie würden schwimmen gehen.
    In Falmouth angekommen, konnte sie sogar aus der Ferne erkennen, dass das Zirkuszelt auf der Anhöhe über der Stadt abgebaut worden war. Die Wohn- und Lastwagen konnte sie wegen der Bäume nicht sehen. Die Steigung war zu stark, sie musste absteigen und das Rad schieben. Ellen bekam Herzklopfen vor Angst. Pierre würde doch sicher nicht wegfahren, ohne sich von ihr zu verabschieden?
    Als sie endlich oben angelangt war und die große Wiese sich vor ihr erstreckte, sah sie, dass der Zirkus fort war. Wo das Zelt gestanden hatte, war der Boden kahl und braun. Die Lastwagen, die

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