Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
ihnen ansehen, wie bettelarm sie waren.
Josie hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Sie hatte am Montag nach ihrer Ankunft mehrere Arbeitsvermittlungen abgeklappert, war aber überall als Erstes nach ihrer Karte gefragt worden. »Ohne Karte keinen Job«, hatte man ihr erklärt. Mit der Karte war die Sozialversicherungskarte gemeint, wie sie herausfand. Die musste jeder haben, und zu bekommen war sie nur beim Amt für Sozialversicherungen. Dort wagte sich Josie aber aus Angst vor der Polizei nicht hin.
Dann riet ihr jemand, es in einem der kleineren Restaurants oder Cafés zu versuchen, weil dort keiner nach der Karte fragen würde. Noch am selben Tag fand sie einen Job in einem Café in der James Street, unweit von Selfridges in der Oxford Street. Sie hatte das Schild Kellnerin gesucht im Fenster gesehen, war hineingegangen und aus Personalnot sofort genommen worden. Bereits ein paar Tage später bereute sie jedoch, dass sie nicht sofort nach Hause gefahren war, als sie von der Notwendigkeit dieser Versicherungskarte erfahren hatte. Es war ein grässlicher Job: Sie musste den ganzen Tag auf den Beinen sein, Essensreste von Tellern kratzen und sich sowohl von ihrem Chef als auch von den Gästen Vorhaltungen machen lassen, weil sie zu langsam war.
Aber sie konnte nicht mehr nach Hause zurück: Sie würde sich völlig lächerlich machen und obendrein auch noch eine ordentliche Tracht Prügel beziehen. Gleich nachdem sie Wills Wohnung verlassen hatte, hatte sie ihren Eltern eine Postkarte geschickt, sich dafür entschuldigt, dass sie ohne ein Wort weggelaufen war, und hinzugefügt, sie sei in London, und es gehe ihr gut. Will hatte sie ebenfalls eine Karte geschrieben, die sie ihm in den Briefkasten gesteckt hatte. Sie habe ihm nicht die Wahrheit gesagt, gestand sie, und falls jemand nach ihr suchen sollte, brauche er als Beweis seiner Unschuld nur diese Karte vorzulegen.
Die Tracht Prügel und die Tatsache, bis zur Volljährigkeit in ihrem Zimmer eingesperrt zu werden, würde sie vielleicht noch verkraften. Aber inzwischen musste sich die Nachricht von ihrem Londoner Abenteuer in ganz Mawnan Smith und Falmouth herumgesprochen haben, und die Demütigung, als Versagerin verlacht zu werden, würde sie nicht überleben. Sie hatte keine andere Wahl, als die Zähne zusammenzubeißen und etwas aus sich zu machen, bevor sie auch nur an eine Heimkehr dachte.
Der Job im Café war so erbärmlich wie ihr Zimmer. Josie hatte den ganzen Tag alle Hände voll zu tun, bediente Passanten, die schnell einen Tee oder Kaffee tranken, und Leute, die in den Büros ringsum arbeiteten und zum Lunch kamen. Die Besitzer stammten aus Griechenland. Räumte Josie nicht schnell genug den Tisch ab, wurde sie gleich angeschnauzt. Sie verdiente neun Pfund die Woche und bekam an manchen Tagen ein paar Shilling Trinkgeld zusammen. Doch nachdem die Miete bezahlt war, blieb nicht mehr viel zum Leben übrig.
Am schlimmsten aber war die Einsamkeit. Tagsüber hatte sie niemanden zum Reden. Es war, als stünde sie auf der Stufenleiter so weit unten, dass sie einfach übersehen wurde. Wenn sie das Café um halb sechs verließ, humpelte sie zur U-Bahn, weil ihre Beine von der Hitze und dem stundenlangen Stehen ganz geschwollen waren. In ihrem Zimmer gab es nichts für sie zu tun, außer ihre Unterwäsche auszuwaschen, auf dem Bett zu liegen und dem Lärm aus den anderen Räumen zu lauschen.
Sie brauchte ein Radio, ein Bügeleisen, ein Paar flache Schuhe für die Arbeit, eine Jacke für schlechtes Wetter und ein paar neue Kleidungsstücke. Sie besaß nichts als das, was sie für ihr Wochenende mit Rosemary eingepackt hatte. Aber es blieb so wenig Geld übrig, dass sie sich fragte, wie sie davon jemals etwas kaufen, geschweige denn etwas sparen sollte, um sich ein schöneres Zimmer leisten zu können.
Zum Glück durfte sie im Café wenigstens nach Herzenslust essen. In ihrem Zimmer hatte sie nur einen Gaskocher, ein Waschbecken, eine Tasse, einen Teller, ein Messer, eine Gabel, einen Löffel, nicht einmal einen Kochtopf.
Jeder Gang durch die Oxford Street mit ihren Warenhäusern und eleganten Geschäften voller wunderschöner Kleider war eine Qual für Josie. Sie sah zahllose Mädchen in ihrem Alter, die glücklich und beschwingt in ihren adretten Miniröcken dahergetrippelt kamen, und sie fragte sich, warum es ihnen so gut ging und ihr selbst einfach nichts gelingen wollte.
Sie kellnerte seit fast drei Wochen, als an einem regnerischen
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