Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
diese Frau, die sich ständig hinter irgendeiner Maske versteckte, irritierte ihn bis zum Geht-nicht-mehr. Vor allem, wenn sie ihm das Gefühl gab, völlig unfähig zu sein.
Dabei hatte er sie und ihre Fälligkeiten anfangs doch bewundert, als er ihr im Wald begegnet war, als sie Lucky gerettet hatte. Warum hatte sich das geändert?
Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und setzte dann den Hut wieder auf. Ein verdammter Idiot. Victoria war eine Frau, egal, wie sie erschien, und er war grausam und gemein zu ihr gewesen, hatte gehofft, dass sie Schiffbruch erleiden würde. Damit er sie trösten und halten und küssen konnte, damit er endlich einmal das Gefühl hatte, dass sie ihn brauchte.
Ihn?
Das konnte er nach alldem wohl vergessen. Er konnte froh sein, wenn sie ihm nicht ein paar Löcher in seine Haut schoss. Langsam ging Chris in sein Büro zurück, setzte sich hinter den Schreibtisch. Noble hatte die Gefangenen in die hinteren Zellen geschafft, und Chris war ihm dankbar dafür.
»Was hast du zu dem jungen Burschen gesagt?«, fragte Noble vorwurfsvoll.
»Wer von uns B eid en kümmert sich jetzt um sämtliche Streuner?«, fuhr Chris ihn an, ohne von den Akten aufzublicken.
»Er ist ein guter Junge, und du hast überhaupt keinen Grund, wütend auf ihn zu sein.«
Chris biss die Zähne zusammen. Noble brauchte ihm nicht noch unter die Nase zu reiben, wie schäbig er sich benommen hatte. »Geh frühstücken und hau dich dann aufs Bett!«, sagte er nur.
Chris blieb einen Moment draußen vor dem Hotelzimmer stehen. Es roch nach Kernseife. Victoria kniete auf dem Boden, die Röcke um sich gebauscht, und schrubbte so verbissen die Dielen, als wollte sie das Holz vollständig abreiben.
Er räusperte sich.
»Ja?« Sie schrubbte weiter, blickte nicht auf.
»Victoria...«
Nur einen Moment hielt sie inne. »Verschwinden Sie, Marsha l , ich habe zu tun.« Dann machte sie mit doppelter Energie weiter.
»Wir müssen miteinander reden.«
»Ich finde, Sie haben neulich genug gesagt.«
Er zuckte zusammen, drehte verlegen den Hut in den Händen. »Ich möchte mich bei Ihnen ent - «
»Nein!« Sie kämpfte sich auf die Füße und warf die Bürste so heftig in den Eimer, dass das Wasser aufspritzte. »Verschonen Sie mich mit dem, was Sie nicht gemeint haben, weil Sie glauben, Sie hätten meine Gefühle verletzt. Das haben Sie nicht getan. Andere Leute haben noch ganz andere Dinge zu mir gesagt, und es schert mich einen Dreck, was Sie von mir denken oder sonst wer. Ich habe einen Job zu erledigen, und das ist alles, was mich interessiert. Alles. Haben Sie das verstanden?«
Er hatte. Aber es gefiel ihm nicht. Und er begriff nicht, wie Victoria sich so unter Kontrolle haben konnte. Ihm gelang das nämlich nicht.
»Und worin besteht dieser Job, den Sie erledigen müssen? Und für den Sie all das in Kauf nehmen?«
Victoria blickte ihn an und überlegte. Sie hatte ihren »Job« gar nicht erwähnen wollen - was letztendlich doch kein so dummer Patzer sein mochte. Wenn sie ihm nämlich die Wahrheit gestand, würde er sie so verabscheuen, dass er für immer aus ihrer Nähe verschwand.
»Ich bin ein Kopfgeldjäger, Marshal «, sagte sie und ließ diese Worte wirken, bevor sie hinzufügte: »Und ich bin es gern.«
Seine Gedanken überschlugen sich. Sie war offensichtlich, was die Verbrecherjagd betraf, kein blutiger Anfänger. Er machte sich allerdings nicht die Mühe, zu fragen, hinter wem sie her war, weil sie es ihm sowieso nicht verraten hätte. Doch die Vorstellung, dass sie Gesetzlose für Geld tötete, bereitete ihm Übelkeit. Auf die Idee wäre er niemals gekommen...
Allerdings hatte er, was Victoria betraf, gerade erst begonnen, die Oberfläche anzukratzen. Er wusste immer noch nicht, wer und was sie wirklich war - und wenn er aus ihrem Verhalten während der letzten B eid en Tage den richtigen Schluss zog, dann würde er das wohl auch niemals erfahren.
Er betrachtete sie nachdenklich, während sie weiterarbeitete. Manches, was ihm ein Rätsel gewesen war, erschien ihm jetzt in einem ganz anderen Licht. Doch Victoria ignorierte ihn, und sie spürte, wie sich die Kluft zwischen ihnen vertiefte.
Kopfgeldjäger.
Er hätte es wissen müssen.
Victoria las die Stellenanzeigen durch, die an dem Brett hingen. Sie hatte noch eine Maske in petto, und sie war entschlossen, sich einen neuen Job zu suchen und unterzutauchen. Chris hatte nicht so reagiert, wie sie es erwartet hatte, und tauchte weiterhin jeden Tag auf,
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