Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
den Blick, während sie hektisch nach einer passenden Erklärung suchte. Einer, die er nicht nachprüfen konnte. »Mein V a ter«, antwortete sie schließlich.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Warum?«
»Ich war als junges Mädchen recht hübsch«, behauptete sie und hoffte, dass er ihr das abnahm.
»Das kann ich mir vorstellen.« Die Art, wie er dies sagte, gefiel ihr nicht - es war viel zu persönlich.
»Er dachte wohl, wenn ich hässlich bin, dann brauchte er keine Angst mehr zu haben, dass ihm ein anderer Mann alles wegnimmt - mich und meine Mitgift.« Gut, das hörte sich plausibel an.
»Ein kluger Mann.«
Wieder sah sie ihn an. Ihre Augen wurden schmal. Wie konnte er so etwas gutheißen? Doch dann dachte sie wieder daran, mit wem sie sich unterhielt. »Finden Sie es etwa richtig, dass er mich ruiniert hat?«
Die Tasse in der Hand, beugte er sich leicht vor.
»Ich wollte damit nur ausdrücken, dass er Sie vielleicht so sehr geliebt hat, dass er sie niemals verlieren wollte.« Es schwang so viel Aufrichtigkeit in seinen Worten mit, dass Victoria ganz schlecht wurde. Dann stellte er die Kaffeetasse ab. »Es gibt Menschen, die werden überhaupt nicht von ihren Eltern geliebt.«
Sie schaute ihn an. Er war erregt. »Sie haben Recht, Sir. Aber mir wäre es lieber gewesen, wenn er seine Liebe statt mit dem Messer durch Worte ausgedrückt hätte.« Verdammt. Sie wollte sich nicht mit ihm unterhalten. Und schon gar nicht über ein Problem, das sie erfunden hatte. Er war zu intelligent, als dass sie sich eine Unachtsamkeit hätte leisten können.
»Perfektion liegt nicht unbedingt im Äußeren«, erwiderte er sanft und nahm ihre Hand. Jeder Muskel in Victorias Körper spannte sich an. Furcht erfasste sie. Seine Hand war eiskalt. Selbst bei diesen warmen Temperaturen, selbst nachdem er eine Tasse mit heißem Kaffee gehalten hatte, war seine Hand so kalt wie die eines Leichnams. Und Victoria konnte an nichts anderes denken als daran, wie viele unschuldige Leben er mit diesen gepflegten, sorgfältig manikürten Händen ausgelöscht hatte. Auch Coles Leben.
»Ich wünschte, jeder würde so denken.« Am liebsten hätte sie fluchtartig den Raum verlassen. Und zu gern hätte sie gewusst, ob in seinen Adern Blut oder Eiswasser rann.
»Ich auch, meine Liebe.«
Was machte ihm zu schaffen, diesem Mann, der alles hatte? Er sah hervorragend aus, er hatte einen hervorragenden gesellschaftlichen Hintergrund. Er war perfekt. Fast. Warum gab er sich überhaupt mit ihr ab - einem nichtssagenden, unscheinbaren Mauerblümchen? Trieb ihn so etwas wie Reue? Er gab ihre Hand frei, und Victoria trat einen Schritt zurück, als er sich erhob und mit einem kaum wahrnehmbaren Hinken zum Fenster ging. Noch etwas, was die Perfektion durchbrach. Er trug keine Jacke, hatte die akkurat gebügelten Ärmel hochgerollt, und sie bemerkte die beid en Kratzer auf seinem Arm sofort. Kratzer, die offensichtlich von Fingernägeln stammten.
»Haben Sie Ihre Pflichten für heute erfüllt?«
»Ja, Sir. Ich muss nur noch Miss Velvet helfen.«
Er nickte, blickte durchs Fenster. Langsam wurde es dunkel, und an den Wagen, die draußen vorbeirollten, hingen schaukelnd die angezündeten Laternen. »Sie behauptet, dass der Himmel Sie zu uns geschickt hätte. Wie Sie mit diesem Berg von Arbeit fertig werden, ist mir allerdings ein Rätsel.«
Das kann ich mir vorstellen, dachte sie. Du hast dir ja selbst den Hintern nie allein abwischen müssen.
»Sie haben meine Erlaubnis, eine Hilfskraft zu Ihrer Entlastung einzustellen.«
»Vielen Dank«, erwiderte sie und zwang Dankbarkeit in ihre Stimme. Am liebsten hätte sie auf seine blank polierten Stiefel gekotzt.
Er machte eine Handbewegung. »Sie können jetzt wieder gehen.«
Sie wandte sich ab, doch dann richtete er noch einmal das Wort an sie. »Und besorgen Sie sich neue Kleidung, Miss Murphy. Meine Mädchen sind stets perfekt gekleidet.« Als er eine Bewegung machte, fiel ihm das helle Haar in die Stirn. Allein mit seinem Aussehen hätte er in ihrem Jahrhundert ein Vermögen verdienen können. »Ich komme für die Rechnung auf.«
»Ich bin nicht eins der Mädchen , Sir.« Sie ließ Abwehr in ihrer Stimme mitschwingen, und er verzog das Gesicht, als sei die Vorstellung, sie könne sich für ihn prostituieren, das Allerletzte, was er in Betracht zöge.
»Das ist mir bewusst«, entgegnete er. »Dennoch sollten wir einen gewissen Standard aufrechterhalten.«
Perfektion, auch wenn’s nur um Huren geht,
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