Wer bin ich ohne dich
Geschlechtshormone sein. Sie beeinflussen nach Meinung vieler Experten vor allem in der Pubertät, nach der Geburt eines Kindes, vor dem Einsetzen der Menstruation oder in den Wechseljahren das seelische Wohlbefinden von Frauen. Lässt man sich auf diese Argumentation ein, findet man in der Fachliteratur zunächst durchaus einleuchtende Fakten.
Pubertät: Die Phase der Pubertät scheint ein wichtiger Wendepunkt für die weibliche Gesundheit zu sein. So ist vielfach belegt, dass die Geschlechtsunterschiede im Auftreten depressiver Störungen zum ersten Mal in der Pubertät zu beobachten sind. Vor der Adoleszenz haben Jungen die größeren psychischen Auffälligkeiten: Verhaltensprobleme, Sprachschwierigkeiten, Autismus und Asperger, ADHS, Bettnässen und Einkoten sind Störungen, die vor allem bei Jungen beobachtet werden. Auch Depressionen treten vor der Pubertät beim männlichen Geschlecht häufiger auf als bei Mädchen. Nach der Pubertät allerdings dreht sich das Verhältnis um: Nun sind es die Mädchen, die deutlich häufiger unter Depressionen leiden. Das bestätigt neben vielen anderen auch eine Studie, die der Psychologe Nicholas Allen an der University of Melbourne durchgeführt hat: »Bei Kindern sind klinische Depressionen höchst selten. In der Adoleszenz aber, vor allem im Alter von 12 bis 14 Jahren, finden wir eine drastische Häufung. Rund 20 Prozent der jetzt 18- bis 19-Jährigen in unserer Studie haben mindestens eine Episode durchlebt.« Wie Allen feststellt, decken sich seine Ergebnisse mit denen anderer Forscher. Er zieht daraus die Schlussfolgerung: »In einer Zeitspanne von wenigen Jahren geschieht etwas, das viele junge Menschen anfällig für Depression macht.« Im Alter von rund 16 Jahren, so Allen, ist »die doppelte Häufigkeit der Depression bei Frauen bereits erreicht.« | 43 |
Was aber geschieht in dieser besagten Zeitspanne? Anders als viele seiner Kollegen erliegt Nicholas Allen nicht der Versuchung, die dramatischen Veränderungen in der Pubertät ausschließlich auf die hormonellen Vorgänge im jugendlichen weiblichen Körper zurückzuführen. Er sieht eine wesentliche Ursache im Familienklima: »Wir wissen jetzt: Je stärker das Zusammenleben von Konflikten geprägt ist und je weniger emotionale Wärme, positive Haltung und Unterstützung vorhanden sind, desto eher finden wir klinische Depression.«
Hier taucht ein erster Hinweis darauf auf, dass Depression beim weiblichen Geschlecht im weitesten Sinn mit Beziehungsstörungen zu tun haben kann. Mädchen scheinen mehr als heranwachsende junge Männer auf gute, enge Beziehungen angewiesen zu sein, sie reagieren sensibler auf Schwierigkeiten in nahen Beziehungen.
Andere Forscher weisen darauf hin, dass die körperlichen Veränderungen in der Pubertät eine Rolle spielen könnten: In diesem Alter beginnen Mädchen, ihr Aussehen mit den veröffentlichten Bildern zu vergleichen, was zu Körperunzufriedenheit und Essstörungen führen kann. Und auch der tatsächlich ausgeübte oder vermeintliche Zwang von Eltern und Gesellschaft, die weibliche Geschlechtsrolle übernehmen zu müssen, mag ein Grund sein, warum Mädchen in der Pubertät häufiger depressive Reaktionen zeigen als Jungen.
Schwangerschaft und Geburt: Viele Frauen erleben nach der Geburt eines Kindes den sogenannten Baby Blues. Schätzungsweise 50 bis 80 Prozent aller jungen Mütter sind davon betroffen. Beim Baby Blues handelt es sich normalerweise um eine leichte depressive Verstimmung, die meist wenige Tage nach der Entbindung einer Frau die Freude an allem, auch am Kind, nimmt. Meist verschwindet dieser Grauschleier nach etwa zwei Wochen wieder. | 44 | Einige junge Mütter sind allerdings schwerer betroffen, sie gleiten in eine tiefe Depression, die mehrere Wochen oder gar Monate anhalten kann. Oftmals waren diese Frauen bereits vor der Geburt ihres Kindes zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens depressiv.
Auch für den Baby Blues machen Mediziner die Hormone verantwortlich: Die nach einer Geburt starken Veränderungen im Hormonspiegel scheinen ihnen das Stimmungstief erklären zu können. So verringert sich einige Stunden nach der Geburt die Konzentration der zwei wichtigsten Schwangerschaftshormone Östrogen und Progesteron, auch die Werte des Schilddrüsenhormons sinken. Diese dramatischen Veränderungen muss der weibliche Körper verkraften, was natürlich nicht ohne Folgen bleibt. Doch einen klaren Beleg für diese Hypothese gibt es nicht, ein eindeutiger
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