Wer bin ich ohne dich
Zusammenhang zwischen Hormonstatus und Depression konnte bislang nicht gefunden werden. Zwar weiß man, dass Hormone einen Einfluss darauf haben, wie Neurotransmitter vom Nervensystem genutzt werden. Neurotransmitter sind Chemikalien im Gehirn und im Nervensystem, die unsere Stimmung beeinflussen. Die Geschlechtshormone Östrogen, Progesteron und auch das Schilddrüsenhormon haben einen Einfluss auf die Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin – und diese wiederum spielen eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der Depression.
Für den kurz andauernden Baby Blues nach einer Geburt mag der Hormonzyklus wirklich verantwortlich sein – aber es reicht nicht als Erklärung dafür, warum manche junge Mütter ernsthaft depressiv erkranken. Schlimmer noch: Diese Erklärung reduziert Frauen auf unzulässige Weise auf ihre Biologie. Die Verfechter der Hormonthese vernachlässigen die sozialen Umstände, in denen eine schwangere Frau und später die junge Mutter lebt. Es spielt eine große Rolle, ob sich die werdende Mutter auf ihr Kind freuen kann, ob sie schon einmal abgetrieben hat, ob sie vom | 45 | Kindsvater im Stich gelassen wird oder ob die Schwangerschaft bei ihm auf Ablehnung stößt und sie das Gefühl hat, für das Kind ganz allein verantwortlich zu sein. Dass die Partnerbeziehung, in der eine werdende Mutter lebt, von großer Bedeutung ist, konnten Wissenschaftler in einer Studie nachweisen: Jene Mütter, die nach der Geburt eine Depression entwickelten, hatten Beziehungen zu Männern, die ihnen emotional kühl und indifferent erschienen.
Die Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber, Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt am Main, schließt den Einfluss hormoneller Veränderungen auf den Baby Blues nicht aus, meint aber: »Auch Umweltfaktoren wie die Vereinzelung der jungen Mütter, die fehlende Großfamilienstruktur und schwache Bindungsstrukturen haben Einfluss auf die Entwicklung einer Depression nach der Geburt eines Kindes.«
Wieder wird deutlich: Auch ein Baby Blues kann durch starken Stress und durch belastende Beziehungserfahrungen ausgelöst werden.
Prämenstruelles Syndrom (PMS): Schätzungsweise drei von vier Frauen leiden Monat für Monat unter dem prämenstruellen Syndrom. Sie klagen über heftige Kopf- oder Bauchschmerzen, sind extrem gereizt, schnell aus der Ruhe zu bringen und viele überkommt das »große Heulen«. Von ihrer Umgebung, meist den männlichen Partnern, werden sie dann als »zickig« wahrgenommen oder als zeitweise nicht ganz zurechnungsfähig. Dies führt dazu, dass Frauen selbst glauben, in den Tagen vor den Tagen eine andere zu sein – eine Frau, die sie nicht sein wollen, die ihnen schwach und ausgeliefert erscheint. Und obwohl die Symptome nach Einsetzen der Periode schnell wieder verschwinden, sind die meisten Frauen bereit, die Hormone für ihren belastenden emotionalen Zustand verantwortlich zu machen. | 46 |
Wie beim Baby Blues spielen sicherlich auch beim prämenstruellen Syndrom die Hormone eine Rolle. Aber auch hier können hormonelle Veränderungen nicht alleine das höhere Depressionsrisiko von Frauen erklären. Die Ausprägung des PMS hängt ebenfalls vom sozialen Umfeld, vor allem von der Qualität naher Beziehungen ab. In den Tagen vor den Tagen sind Frauen sensibler und empfindlicher – und diese verstärkte Achtsamkeit lässt sie vorhandene Beziehungsschwierigkeiten und Sorgen intensiver wahrnehmen. Möglicherweise gelingt es ihnen zu anderen Zeiten, ihr Unbehagen besser zu kontrollieren und sich abzulenken. Doch wenn sie durch die hormonellen Vorgänge im Vorfeld der Menstruation emotional geschwächt sind, bringen sie die Kraft nicht mehr auf, sich über Missstände in ihrem Umfeld oder über ihr Unglücklichsein zu täuschen. Ist das Umfeld jedoch positiv, dann können sie die körperlichen und seelischen Veränderungen besser akzeptieren, und die Tage vor den Tagen haben dann keine längerfristigen seelischen Auswirkungen. So waren in einer Untersuchung mit 150 verheirateten Frauen prämenstruelle Symptome deutlich seltener oder schwächer ausgeprägt, wenn die Frauen ihre Ehe als »glücklich« bezeichneten. Und auch in lesbischen Beziehungen empfinden Frauen die Tage vor den Tagen als nicht so belastend und stimmungsverändernd wie dies Frauen in unglücklichen Partnerschaften tun (siehe Kapitel »Lesbische Liebe – Mehr Verständnis, weniger Stress«).
Beim prämenstruellen Syndrom handelt es sich um ein
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