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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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der Depression, fehlende Motivation, Passivität, Erstarrung, machen Angst, doch sie sind absolut nützlich. Solange eine Frau nicht weiß, welchen Weg sie einschlagen könnte, ist es klug von ihr, nicht zu handeln, sich zurückzuziehen, nachzudenken. Nur so kann sie sich einen Zugang zu wichtigen Informationsquellen erschließen. Wenn sie beispielsweise nachts nicht schlafen kann, kann sie Gefühle der Trauer, der Enttäuschung, der Wut erst richtig wahrnehmen und ihren Ursachen auf die Spur kommen. Auch Träume, die eine betroffene Frau in dieser Phase hat, können zu neuen Einsichten verhelfen. Die depressive Erschöpfung zwingt zur Ruhe und gibt der betroffenen Frau die Möglichkeit, sich ihren freien Assoziationen hinzugeben – und zu warten auf das, was aus ihrem Unbewussten hochsteigt.
    Die Depression ist eine Chance zum Innehalten und zum Reflektieren. Sind betroffene Frauen bereit, in ihre eigene Psyche hinunterzusteigen, können sie Antworten auf wichtige Fragen finden, wie die Psychoanalytikerin Verena Kast glaubt, zum Beispiel auf Fragen wie: Was ist mit mir los? Warum bin ich so mutlos? Warum bin ich verzweifelt? Warum fühle ich mich wertlos und hasse mich? Vor allem aber können sie die grundlegenden Fragen beantworten: Was bin ich mir selbst schuldig geblieben? Welche Seiten in mir blieben bislang ungelebt und wollen nun endlich Berücksichtigung finden? »Jung sagte sinngemäß, hinter einer Depression könne ein Leben stecken, das auch hätte anders gelebt werden können«, erklärt Verena Kast. »Die Depression verweist auf einen Mangelzustand. Sie zeigt, dass man die eigenen Emotionen zu sehr vernachlässigt hat. Sie enthält die Chance, wichtige Aspekte der eigenen Persönlichkeit, die vernachlässigt wurden, neu zu denken, sie wieder mitleben zu lassen.«
    Steigt eine depressive Frau mutig in ihre eigene Seele hinab, dann wird sie früher oder später feststellen, dass sie ihr Leben | 182 | ändern muss. Sie wird erkennen, dass es wenig sinnvoll ist, sich um Perfektion zu bemühen, dass der Versuch, es anderen unbedingt recht zu machen, zum Scheitern verurteilt ist, dass der Stress ihres Alltags das erträgliche Maß überschritten hat und sie die – von anderen und von sich selbst – auferlegten Pflichten nicht mehr erfüllen kann und will. Oder sie stellt fest, dass das Gefühl der Einsamkeit oder dass Diskriminierungen, emotionaler Missbrauch oder belastende soziale Umstände unerträglich und untragbar geworden sind. Die Depression bietet die Chance, den Nebel zu lichten und, wenn die Sicht klar ist, angemessen auf unzumutbare Zustände zu reagieren.
    Die mit der Depression verbundenen Gefühle informieren die betroffene Frau schonungslos über ihr Verhältnis zu anderen Menschen. Sie öffnen ihr die Augen über Ungleichheit, Selbstausbeutung, über den Egoismus anderer, über Gleichgültigkeiten und Zumutungen. Und gleichzeitig ermöglichen sie ihr auch einen ungeschönten Blick auf sich selbst: auf ihre Bereitschaft zur Anpassung, auf ihre Bereitschaft, sich selbst nicht wichtig zu nehmen, auf ihre Bereitschaft, sich selbst auszubeuten.
    Um eine Einladung an die Dame in Schwarz auszusprechen, braucht eine depressive Frau sicherlich Mut. Sie muss bereit sein, die Botschaft der Depression zu hören und sich der Wahrheit zu stellen. Der Wahrheit, die sie mühsam versucht hat, vor sich selbst zu verbergen und die sie auch vor anderen hinter der Fassade der Tüchtigen, der Freundlichen, der Perfekten verstecken wollte. Wenn sie der Dame in Schwarz wirklich zuhört, muss sie die von ihr selbst errichtete Fassade einreißen und sich Klarheit darüber verschaffen, wodurch ihr Leben aus dem Gleichgewicht geraten ist.
    Das, was betroffene Frauen an der Depression zunächst schrecklich und furchterregend finden, stellt sich bei genauem Hinsehen als etwas Gutes heraus: Die Depression nimmt den von ihr Be | 183 | troffenen jede Illusion – im positiven Sinne. Studien belegen, dass depressive Menschen ganz besonders realistische Menschen sind. Sie können sich selbst nichts vormachen, sie sehen die Dinge und die Menschen, wie sie sind, sie hören auf, sich selbst mit freundlichen Lügen zu beruhigen. Bevor die Depression in ihr Leben kam, redeten sie sich ein, es sei alles in Ordnung, sie gaukelten sich vor, dass sie all ihre Aufgaben schon schaffen werden, sie sagten sich, dass sie keinen Grund zur Klage hätten. Sie wollten nicht wirklich wissen, wie es ihnen geht. Doch wenn die Depression kommt,

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