Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
meinen Stall eingestellt habe. Denn diese Tatsache war mir ohnehin schon von Anfang an bewusst.
Ich sattelte den Schwarzen nicht, sondern streifte ihm nur sein Halfter über.
Er kann ein gehorsames Tier sein, wenn man ihn nur richtig anzufassen weiß. Außerdem ist er ein Ausbund von Kraft und Energie, das dem Menschen, der ihn mit seinem Temperament angemessen führt, bedingungslos zur Verfügung steht.
Es war noch früher Abend, die Dämmerung hatte noch nicht eingesetzt. Stattdessen verbargen trübe, graue Wolken die Sonne. Ich ritt zuerst langsam am Fluss entlang, den Hügel hinab. An der Stelle, wo der Fluss eine Biegung macht und unter dem grünen Dach der Blätter am Waldrand verschwindet, hielt ich mein Pferd an.
Ich starrte auf die Bäume, als seien Sie zum Leben erwachte grüne Riesen: Unter diesem von der Natur selbst geschaffenen Zelt habe ich als Halbwüchsiger so viele Erfahrungen gemacht, so viele Dinge gelernt und bin am Ende von mir selbst und der in mir gewachsenen Weltanschauung
enttäuscht worden. Hier habe ich ohne
Zweifel – in Gemeinsamkeit mit dem Priester und seinen Gefolgsleuten – die zwei Jahre verbracht, die mich am meisten von allen geprägt haben. Und hier habe ich danach meine härtesten Kämpfe ausgefochten.
Dieser Wald, der sich weit ins Land ausdehnte, sich wie ein Meer in Wellen über Hügel und Täler ergoss, war mein Schicksal geworden. Dieser Wald mit seiner unendlichen Zahl an Verstecken, an Höhlen, an dicht wucherndem Unterholz war es, der sich mir als der Ort präsentierte, den ich am meisten von allen ins Herz geschlossen habe und der sich mir gleichzeitig als Feind entgegenstellte.
Am liebsten wollte ich sie anrufen, diese grünen Riesen, und ihnen stolz die Stirn bieten. „Noch führe ich mein eigenes Leben! Noch füge ich mich nicht eurem Willen!“ Doch wie lange werde ich meine Freiheit behaupten können? Der Schwarze bog den Hals und gab ein nervöses Schnauben von sich. Sein rechter Huf scharrte ruhelos im feuchten Erdreich. Ich spürte deutlich seinen Körper unter mir beben. Er benötigte nur den kleinsten Wink von mir, und seine kräftigen Beine würden uns direkt in den Wald hinein tragen, er würde im schnellsten Galopp sicher seinen Weg zwischen den Baumstämmen hindurch finden. Wir würden für Stunden versinken in dem weiten, dunklen Meer. Jedoch lenkte ich seinen Blick in eine andere Richtung, wieder zum Hügel hinab. Mein Pferd spürte, dass es nun endlich frei war zum Galopp. Mit weit ausgreifenden, fast fliegenden Schritten stürmte es den Hügel hinab. Als ich mich nach vorne lehnte und die kraftvollen Bewegungen des Pferdes auf meinen Körper übergingen, fühlte ich wieder deutlich die tiefe Wunde an meiner Seite. Jedoch war der Schmerz bei weitem nicht mehr so übermächtig, wie bei meinem letzten Ritt, als ich im Regen umhergeirrt war, hinaus auf die höchste Hügelkuppe bei Feldfes, auf der verzweifelten Suche nach der Stimme der guten Mächte.
Auf der erfolglosen Suche nach einer
Antwort.
Diesmal sollte mich mein Weg hinunter in den Ort Rubenfels führen: Die alltäglichen Geschäfte der einfachen Leute dort waren so wunderbar real, die Menschen selbst standen mit beiden Beinen auf der Erde.
Mitten im Leben.
Vielleicht würde ihr Anblick mir in irgendeinem Sinne den inneren Halt geben, den ich so verzweifelt benötigte. Vielleicht würde ich in ihren Gesichtern die Wirklichkeit wiederfinden, die ich vor vielen Jahren zum ersten Mal in den Augen einer jungen Frau entdeckt habe. Einer jungen Frau, deren fürsorgendes Leben durch einen brutalen Schlag auf den Hinterkopf ausgelöscht worden war, und die ich zwar befreit, aber nicht gerettet hatte.
Als der alte Schuppen des Hofes Schmid hinter einer Baumgruppe zum Vorschein kam, zügelte ich den Schwarzen, der widerwillig in Trab verfiel. Die harten Stöße dieser Gangart ließen mir schmerzlich zu Bewusstsein kommen, dass meine Verletzung doch noch nicht so weit verheilt war, wie ich es zuerst vermutet hatte.
Manche Wunden heilen kaum oder gar nicht. Aber den Schmerz körperlich zu spüren, den die Schwarzen Brüder auch an meiner Seele hinterlassen haben, ließ meinen inneren Kampf realer erscheinen. Deshalb veranlasste ich das Pferd nicht, in den sanfteren Schritt überzugehen.
Der Hof Schmid – ein kleiner Bauernhof, der die darauf lebende neunköpfige Familie gerade so eben ernährte – lag still und scheinbar verlassen. Kein Mensch war dort zu sehen. Die gesamte Familie war
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