Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
Jahre
hinweg zu täuschen und ihn vergessen zu machen, dass ich sein Feind gewesen bin. Ganz im Gegenteil: Seine Erinnerung daran, wie viel Anstrengung es kostet, mich in irgendeiner Weise gefügig zu machen, wird mir ein Vorteil sein. Dass es ihm gelungen ist, mich zu zwingen, vor dem Altar niederzuknien, ist nur ein sehr kleiner Sieg für ihn. Er wird selbst ganz genau wissen, dass er im wahrsten Sinne Himmel und Hölle in Bewegung setzen muss, damit ich mich seinem Willen beuge.
Dieses gefährliche Spiel kann ich nur deshalb mit ihm spielen, weil es ihm aus irgendeinem Grund unmöglich zu sein scheint, mich zu töten. Er hätte bereits in den letzten Jahren – vor allem, als er mich mit diesem schwarzen Stück Stoff zur Wehrlosigkeit verdammt hat – viele Chancen gehabt, mir das Leben zu nehmen und damit endlich für seine Ruhe zu sorgen. Selbst, als ich ihn direkt dazu aufforderte, mich zu töten, hat er nicht den geringsten Versuch unternommen, mir zumindest klar zu machen, dass diese Möglichkeit für ihn in irgendeiner Weise in Frage kommt.
Aus irgendeinem mir unbekannten Grund scheine ich unverzichtbar für ihn zu sein. Derartig unverzichtbar, dass er mich mit allen Mitteln zurück haben will, obwohl ich ein unkalkulierbares Risiko in seiner Rechnung darstelle.
Selbst, wenn es mir gelingen sollte, den Priester zu beseitigen, wird die böse Saat weiter existieren: Seine
Bücher und Schriftrollen legen Zeugnis ab von den von ihm gesammelten und zelebrierten Lehren. Die mittelalterliche Schrift, die ich vor zehn Jahren selbst in den Händen hielt und die von der Ankunft einer finsteren Macht auf dieser Erde erzählte, herbei beschworen durch drei menschliche Medien, enthält ein Gefahrenpotential, das nicht zu vernachlässigen ist. Jedoch werden all die alten
Aufzeichnungen an einem Ort aufbewahrt, der mir unbekannt ist. Sie sind der gehütete Schatz des Priesters, und wer auf der Welt hat eine Ahnung, welch folgenschweren Zündstoff dieser Schatz noch enthält?
Nein, einen derart unvollkommenen Schlag wird es nicht mehr geben, wie ich ihn vor zehn Jahren ausgeführt habe.
Der Priester muss sterben mitsamt seinem gefährlichen Gedankengut.
Seine Helfer haben nur ein sehr geringes Wissen. Er versteht sich darauf, sich ihrer zu bedienen, ohne sie in die wirklich wichtigen Geheimnisse einzuweihen. Sie werden sich zerstreuen, wenn der Priester als Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft nicht mehr existiert. Niemandem von ihnen wird es je gelingen, aus eigener Kraft die Schwarzen Brüder am Leben zu erhalten. Des Priesters Schüler, dessen Namen mir unbekannt ist (man war scheinbar stark darauf bedacht, ihn in meiner Gegenwart nicht zu nennen – noch nicht), ist nicht annähernd so stark, wie der Priester selbst. Trotzdem fühle ich, wenn ich in seiner Nähe bin, dass von ihm eine Gefahr anderer Art ausgeht:
Er ist kein neugieriger, aber recht
naiver Junge, wie es Nicolas damals war. Nicolas hat bis zu seinem Tod daran geglaubt, dass wir durch unsere Rituale am Ende eine bessere Welt neu erschaffen können, in der die Menschen wieder eine Verbindung zum Übernatürlichen haben und dieses kontrollieren und zu ihrer eigenen Weiterentwicklung einsetzen können.
Dieser neue Schüler jedoch strahlt eine fühlbare seelische Kälte aus, die kaum zu erfassen ist. Ich glaube nicht, dass er zu irgendeinem anderen Menschen jemals so etwas wie eine Gefühlsbindung aufgebaut hat, auch, wenn die Menschen, die ihn umgeben, vielleicht an eine Freundschaft zu ihm glauben. Wahrscheinlich würde er jeden opfern, wenn es darum geht, seine Ziele durchzusetzen. Er hat genau das, was – nach des Priesters Ansicht – mir fehlt: Die Fähigkeit (?) völlig blind und taub zu sein, den Gefühlen anderer Menschen gegenüber.
Wahrscheinlich würde er sogar den Priester töten, wenn er dazu in der Lage wäre. Denn die Regungen, die ich in seinem Inneren wahrnehmen konnte, waren: Wut und Hass, gepaart mit eiskalter Kalkulation. Ich denke, es wäre besser, auch ihn auszulöschen.
Nun, wo ich wieder mit dem Töten begonnen habe, befürchte ich, dass bis zu dem endgültigen Ziel ohnehin noch einige weitere Menschen sterben müssen. So lange, bis ich in Erfahrung gebracht habe, wo der Priester seinen Schatz verwahrt. Ober bis ich selbst wieder vollkommen im Bann des Bösen stehe.
Denn es ist beunruhigend, wie leicht es mir fiel, den durch meine Hände sterbenden Jungen nicht mehr als Menschen, sondern als bloßes Objekt zu sehen. Es war
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