Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
ohne irgendetwas Ungewöhnliches entdecken zu können.
Ihr Mann wies mit den Fingern an ihr vorbei, nach unten. „Da... schau, da! Unter der Ladentheke!“ stotterte er aufgeregt.
Bevor sie die Lampe senkte, um an besagter Stelle nachzusehen, machte sie ein weiteres Kreuzzeichen, denn man konnte ja nie sicher genug sein. Sie bückte sich, folgte mit den Augen dem Lichtkegel und plötzlich blickte sie direkt in zwei starre, weit geöffnete Augen. Sie erschrak fürchterlich, denn das wächserne, leicht grünlich verfärbte Gesicht, das im Schein der flackernden Lampe auftauchte, war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Der Körper darunter war steif und in sich zusammengesunken. Ein süßlicher, unangenehmer Geruch ging von ihm aus.
„Es ist ... Es ist …“, versuchte ihr Mann hinter ihr herauszubringen.
„ Das ist Philip!“ keuchte Magarete. Ihre eigene Stimme klang dabei fremd und schrill in ihren Ohren, fast, als hätte jemand anderes diese Worte gesprochen: Irgendein fremdes, hysterisches Weibsbild. Sie hob die Lampe wieder an, um die mit leeren Augen vor sich hin starrende Leiche nicht mehr ansehen zu müssen. Ihr war klar, ihr Mann musste gehen und die Polizei holen. Oder besser noch: Sie beide mussten gehen, denn in diesem Haus allein zu bleiben, gemeinsam mit einem bereits modrige Gerüche abgebenden Toten, das wäre zu viel für ihre schwachen Nerven!
------- MEISTER RUDOLPH ------
Gegen sechs Uhr morgens nahm der Bildhauermeister seine Arbeit auf. Die ersten Sonnenstrahlen kündigten schon den nahenden Tag an. Jedoch war es trotzdem noch nötig, einige Lampen im Raum anzuzünden, damit er genug Licht hatte, um die Details der Skulpturen exakt ausarbeiten zu können.
Wenn der Geselle Philip wirklich, wie es schien, nicht mehr zurückkommen würde, dann stand ihm ein hartes Stück Arbeit bevor, ohne eine helfende Hand an seiner Seite. Sämtliche Termine konnten nicht eingehalten werden. Die Fertigstellung des Altares würde das Doppelte der veranschlagten Zeit in Anspruch nehmen.
Warum der Geselle von einem Tag auf den anderen seine Sachen notdürftig gepackt und offensichtlich das Dorf verlassen hatte, das konnte Meister Rudolph sich nicht erklären. Ihm waren Gerüchte zu Ohren gekommen, Robert Adlam habe Philip in seiner Kammer über der Backstube aufgesucht und es seien Schüsse gefallen, bevor der Bildhauergeselle fluchtartig aus dem Haus gelaufen sei. Und, natürlich, Herr Adlam hatte ihn persönlich nach dem Wohnort seines fleißigen Helfers gefragt, ohne jedoch eine Erklärung für den Grund des geplanten Besuches bei dem Gesellen anzugeben.
Doch wie konnte er glauben, dass der Mann, der seine Arbeit finanzierte und einen erstaunlich feinen Sinn für die Bildhauerkunst aufwies, die Fertigstellung des Altares derartig blockierte?
Er hatte den von Robert Adlam versprochenen Abschlag bekommen, termingerecht und problemlos. Der junge Altarstifter hatte es nie versäumt, ihm regelmäßig seine Materialkosten zu erstatten und die geleistete Arbeit immer wieder zwischendurch großzügig finanziell zu entlohnen. Er freute sich ganz offensichtlich an dem künstlerischen Werk des Bildhauermeisters, jedes Mal, wenn er die Werkstatt besuchte.
Natürlich war Herr Adlam ein eher seltsamer Mensch, ein undurchschaubarer Außenseiter. Aber vielleicht hatte er, was die in der gesamten Umgebung bekannte tragische Geschichte seiner Familie betraf, ja ein Recht, genau das zu sein. Ohne von so bösartigen Weibern wie der Bäckersfrau Mathilde durch den Schmutz gezogen zu werden.
Meister Rudolph war ganz in seinen Gedanken versunken, als er die Stecheisen aus ihren Halterungen an der Wand zog und eins nach dem anderen kritisch auf seine Schärfe überprüfte. Nun ja, vielleicht würde sich ja doch bald alles aufklären und sein Geselle zu ihm zurückkommen. Er wandte sich dem Schleifstein zu, drei seiner Stecheisen, mit deren Zustand er unzufrieden war, in den Händen haltend. Sein Blick glitt dabei zum ersten Mal am heutigen Morgen, eher beiläufig, durch den inzwischen heller erleuchteten Raum, über die fertigen Volutenwerke, die neben der Eingangstür an der Wand lehnten.
Im ersten Augenblick glaubte er an eine Sinnestäuschung, seine Augen blieben ungläubig an den vollendeten Schnitzwerken hängen: Die Farbe des Holzes hatte sich verändert, die Volutenwerke waren in großen Streifen und Tropfen rot gesprenkelt. Und auch die in der Werkbank eingespannte Christusfigur sah aus, als sei sie
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