Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
von Blut mit der sicheren Option auf den vollkommenen Verlust der Menschlichkeit.
In dieser Zeit, im Alter von gerade einmal fünfzehn Jahren, war ich so stark, wie nie zuvor. Ich hatte uralte, fast vergessene Rituale und Sprüche gelernt, aus einer Zeit, als die Menschen die Beherrschung des Übersinnlichen noch als Teil ihres normalen Lebens betrachteten. Die Fähigkeiten, die ich von Anbeginn meines Lebens in mir getragen hatte, wurden in ihrer Stärke durch ein Vielfaches übertroffen von dem, was ich mit Hilfe der alten Riten ausrichten konnte. Ich war in der Lage, Menschen und Tiere zu töten, ohne auch nur in ihrer Nähe zu sein, allein dadurch, dass ich die Alte Sprache sprach. Ich vermochte es, die unsichtbaren Kräfte in das Feuer und das Wasser zu lenken. So wurden beide Elemente in meinen Händen zu lebendigen Wesen, die Gefühle wie Hass und Wut in alles verschlingenden Attacken auslebten.
Dass ich Feuer aus dem Nichts entfachen konnte, nutzte ich gerne aus. Dass ich zusätzlich theoretisch in der Lage war, dasjenige Feuer zu löschen, das die vom Meister ausgewählten Opfer bei lebendigem Leib verzehrte, war mir auch damals schon bewusst. Nur habe ich damals keinen Sinn darin gesehen, die qualvoll schreienden Menschen von ihrem grauenvollen Leid zu befreien. Sie waren in meinen Augen keine ernst zu nehmenden Lebewesen mehr, nur Mittel zum Zweck. Heute existiere ich in dem Bewusstsein, dass ich durch das, was ich damals den Menschen angetan habe, selbst einen grausamen Tod verdient habe.
Als mir irgendwann klar wurde, dass der Mann, in dem ich so etwas wie eine Vaterfigur gesehen habe, einen Dreck auf jedes menschliche Leben, ja, sogar auf die Existenz der gesamten menschlichen Gesellschaft gab, starb die Illusion in mir, ihm auf dem einzig richtigen Weg gefolgt zu sein. Der dunkle Meister hatte zu jener Zeit bereits den Termin angesetzt für seinen
endgültigen Triumph. Eine alte Schriftrolle aus seinem geheimen Schriftenfundus, die kaum mehr lesbar war und die er zu keiner Sekunde aus den Augen ließ, barg das große Geheimnis zur Gestaltung einer neuen Welt. Dies verkündete er uns beiden, mir und Nicolas.
„Wir haben schon einen langen Weg
hinter uns gebracht“, erklärte er uns des Weiteren. „Jeder Schritt auf diesem Weg hat uns immer ein Stück vorwärts getragen, langsam aber stetig. Ihr beide habt in jeder Nacht etwas Neues von mir gelernt, und ihr seid mit eurem Wissen gewachsen. Jetzt sind wir am Ende dieses Weges angelangt. Wir öffnen in der Nacht zum dreiundzwanzigsten November die Pforten des Scheols, wir drei gemeinsam. Und alle verborgenen Kräfte werden uns von da an zur Verfügung stehen, in unbegrenztem Maß. Durch sie werden wir die Welt derartig umgestalten, dass sie nicht mehr wiederzuerkennen sein wird.“
Er forderte uns auf, unser Bekenntnis zu sprechen, zu den unsichtbaren Mächten, denen wir uns angehörig fühlten. Es waren magische Worte, die wir von ihm gelernt hatten. Sie enthielten einen Schwur mit lebenslanger Gültigkeit. Dieses Bekenntnis, zu dessen Wiederholung ich in der Nacht, als die Schwarzen Brüder in mein Haus eingedrungen sind, gezwungen wurde, wirkt stetig im Innern desjenigen, der die Worte spricht. Wie ein scharfes Schwert will es den Menschen von seinen moralischen Werten lösen. Am Ende steht die Hölle der eigenen Gnadenlosigkeit.
Weil der Meister über die heroisch klingende Ankündigung hinaus nichts weiter über die bevorstehende Nacht zum dreiundzwanzigsten November erzählte, beschloss ich, mir mehr Informationen zu beschaffen. Es hat niemals eine Zeit gegeben, da ich gläubig an den Lippen eines Führers gehangen und mich ihm völlig, ohne seine Pläne zu hinterfragen, ausgeliefert hätte. Ich war immer noch ein störrischer Einzelgänger, dem ständig bewusst war, dass das komplette Ausschalten des eigenen Gehirns für niemanden Gewinn bringen konnte.
Nicolas war in diesem Punkt nicht wie ich. Er ließ sich leichter lenken, akzeptierte die Vormachtstellung unseres Führers voll und ganz und stellte keine Fragen nach Dingen, die ihm verschwiegen wurden.
Ich bemühte mich, heimlich an die rätselhafte, gut gehütete Schriftrolle zu gelangen, auf der angeblich die für uns vorgesehene, zukünftige Mission beschrieben sein sollte. Ich hatte Glück: Der Priester war unachtsam, weil er uns beide in seiner Hand zu haben glaubte. Ich konnte ihm die alten Aufzeichnungen für kurze Zeit entwenden, bevor er sie wieder zurück in das mir
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