Wer Boeses saet
neun Männer herausgefiltert. Dann führte sie eine Reihe von Schritten durch, deren Zweck dem Kommissar nicht so ganz einleuchtete. Nach einer Weile erschienen ein paar Seiten Text.
François las ihn gleichzeitig mit ihr. Es waren schlecht formulierte, fürchterliche Nettigkeiten, mit denen die Anwärter auf Teufel komm raus versuchten, sich als seltene Exemplare anzupreisen. Lucie brillierte in der Rolle des kleinen verlorenen Mädchens und machte es spannend, um ihre Chatpartner besser einschätzen zu können. War der Typ dann reif und hatte sie das Gefühl, er werde sich ihren Bedingungen fügen, schritt sie zur Tat. Sie erklärte sich bereit zu einem Treffen von Angesicht zu Angesicht, was dann auch das Ende des virtuellen Austauschs bedeutete. Nach dieser Phase waren in dem Wettrennen nur noch fünf Teilnehmer übrig. Wie auch immer diese Anmache ausgehen mochte, der Rest fand live statt. Entgegen François’ Befürchtungen war der Treffpunkt nicht jedes Mal ein anderer. Eine Bar in Châteaurenard, einer kleinen Stadt am anderen Ufer der Durance, keine zehn Kilometer entfernt.
Letztlich keine wirkliche Überraschung. Wie bei all den anderen, die so etwas nur gelegentlich machten, war die Situation auch für Lucie schwierig. Daher musste sie ein paar vertraute Punkte einbauen, um gegen die Angst anzukämpfen.
Marchands Neugierde wurde geweckt, als er das Datum der letzten Begegnung sah. Sonntag, 13. Januar, 17 Uhr, der Nachmittag vor dem Mord. Das Opfer wollte sich mit einem gewissen Léo treffen, der ein gutmütiges Lächeln hatte, aussah wie ein ruhiger Familienvater, und mit dem sie schon seit mehreren Wochen chattete.
Julia notierte sich die Adresse und sah François triumphierend an.
»Das sieht ziemlich nach Volltreffer aus, oder?«
Obwohl sie unbestreitbar ganz schön weitergekommen waren, konnte der Kommissar nicht so recht in ihre Begeisterung einstimmen. Die Vorgehensweise war zu offensichtlich, um in eine Festnahme zu münden. Die Anonymität des Internet, das Pseudonym, das gefakte Foto – der Mörder hatte viele Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Sollte er so viel Energie verschwendet haben, nur um sich dann mit Lucie an einem öffentlichen Ort zu treffen? Das war absurd … Aber sie hatten eine Spur, und der ging Julia nun hartnäckig nach. François hatte ja auch gar nichts Besseres vorzuschlagen.
Sie fragte:
»Soll ich die Daten ausdrucken?«
»Warum nicht?«
Der Drucker setzte sich in Gang und spuckte die Dokumente aus. Die unterschiedlichsten Porträts von Männern um die fünfzig. Darunter auch Léo. Ein virtueller Verdächtiger wie ein Hologramm, das kurz davorstand, sich im Datennebel aufzulösen.
»Und jetzt?«
François wusste ganz genau, was sie von ihm erwartete.
»Ich wollte mir schon immer mal Châteaurenard anschauen. Das scheint ein hübsches kleines Städtchen zu sein.«
10
Sie brauchten gut dreißig Minuten, bis sie sich aus Avignon herausgeschält hatten.
Die Strecke war zwar nur ein paar Kilometer lang, aber alle hundert Meter gab es eine Ampel. Dann folgte ein Hindernislauf durch die Industriezone, die sich schier endlos hinzog. Nach einer Brücke über ein Kiesbett wurde die Bundesstraße zur Landstraße. Lavendel- und Olivenfelder, sanft geschwungene Hügel und bewaldete Täler. Eine Postkartenaussicht auf die Alpillen.
Das Schauspiel war von kurzer Dauer. Schon bald tauchten wieder Wellblechcontainer und grellbunte Anschlagtafeln auf. Nach einer Lagerhalle für Teppichböden und einer Badewannenausstellung wies ein glänzendes Schild darauf hin, dass sie wieder in der Stadt waren.
Dabei war Châteaurenard eher ein größerer Marktflecken als eine Stadt. Es gab wie in den meisten der kleinen Dörfer der Region eine Altstadt, in der mit großem Stolz das Nationalerbe zur Schau gestellt wurde. Die Kirche war halb gotisch, halb romanisch, es gab Steinbrunnen und das unvermeidliche auf einer Anhöhe liegende, mittelalterliche Schloss. Sozusagen die Minimalausstattung. Laut Julias Aussagen hatte diese alte, den Grafen der Provence gehörende Festung einst sogar Papst Benedikt XIII . beherbergt …
François fuhr Richtung Zentrum. Das Herz der Altstadt war ein kleines Schmuckstück, das konnte man nicht leugnen. Gepflasterte Straßen, Erkerhäuser und sogar ein winziger Kanal, der unter den Platanen entlanglief. Die Bürgermeisterei hatte das Ganze mit einem großen Aufgebot an Blumenkästen renovieren lassen, sodass man ein bisschen das Gefühl hatte, man spaziere
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